: Wo Widerstehen anfängt
■ Große Gesprächsrunde der Frauenwoche / Keine einfachen Anti-Gen-Tech-Wahrheiten mehr / Beim Gynäkologen Mut aufbringen
Fünf Tage Frauenwoche - als Höhepunkt vor der großen Feier gestern nachmittag eine große Gesprächsrunde. Auf dem Podium sechs Frauen, die sich gegen Gen- und Reproduktionstechnologien engagieren. Doch schon der Titel („Widerstand im Alltag“) verriet, daß eine „generelle Stoßrichtung“ gegen Gen- und Reproduktionstechniken nicht vom Podium zu erwarten war, Zuschauerinnen mahnten die „fundamentale Gesellschaftskritik“ wiederholt an. Einige hatten bereits im vorhinein beschlosssen, ihren „radikalen Widerstand“, noch während die Diskussion lief, auf die Straße zu tragen.
Als erste formulierte die Journalistin Eva Schindele ihr Ver
ständnis von „Widerständigkeit“ auf der untersten Ebene: „Widerstand als Information und als Sich-Informieren“. Neunzig Prozent der schwangeren Frauen machten sich in fast allen Fragen von ihrem Gynäkologen abhängig, ob es nun um pränatale Diagnostik gehe oder um die Frage, ob sie mit ihrem Partner während der Schwangerschaft schlafen dürften. Schindele: „Ich denke deshalb daran, die Hebammen zu stärken und andere Orte zu schaffen, wo Frauen sich informieren können. Jedes Jahr gehen mehr Frauen zur Fruchtwasseruntersuchung.“ Die Erwachsenenbildnerin Cornelia Klöss führte ein Beispiel an für den Widerstand in der Arztpraxis: „Ich kenne eine Frau, die hat vor zwei Geburten keine Amniozentese gemacht und jedesmal behinderte Kinder geboren. Jetzt kriegt sie ihr drittes
Kind, und wieder hat sie sich dem Drängen ihres Arztes auf die Fruchtwasseruntersuchung widersetzt.“
Eine weitere „private“ Widerstandsform nannte Swantje Köpsell (Frauenkrüppelgruppe): „Es ist mitunter auch schon Widerstand, als Behinderte aufzutreten.“ Die Hochschullehrerin Dorothea Brockmann: „Jede, die hier sitzt, muß gucken, wo ist bei mir der Ansatz für Widerständigkeit. Beim Arztbesuch. Im Laden, wo gentechnisch manipulierte Butter angeboten wird. Oder an der Universität, wo Gentechnik kein Thema ist...“
Als klar wurde, daß sich unter Frauen nur schwer ein Konsens gegen die Reproduktionstechniken finden lassen würde, forderte eine Zuhörerin den klaren Widerstand gegen die Gentechnik ein. Doch auch hier erwies sich bei nä
herer Debatte die Anti-Haltung als brüchig. Was war mit den ölteppich-fressenden Bakterien? Mit den Medikamenten gegen Aids? Mit der künstlichen Milch, die bald massenhaft angeboten werden wird? Mit den Enzymen, die bereits jetzt in Kläranlagen im Einsatz sind? Die Einsicht, daß das Zeitalter der gentechnisch manipulierten Umgebung längst begonnen hat, setzte sich durch. Eine Zuhörerin wandte unter Beifall ein: „Ich möchte das alles radikal nicht, Fruchtwasseruntersuchung, manipulierte Butter, Gentechnik. Was Ihr vorne sagt, löst eine Hilflosigkeit bei mir aus, die mir die Luft nimmt.“ Die Lehrbeauftragte Brigitte Hasenjürgen setzte vom Podium dagegen: „Es ist ein Fehler, sich mit klaren Antworten da raus zu stehlen. Mir hilft das Differenzieren.“
B.D.
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