: Wohnen wird Luxusbeschäftigung
■ Bremen vor der Wohnungsnot: Zwei-Drittel-Gesellschaft auf dem Mietenmarkt / Sozialsenator legt Studie vor: Bis 1995 fehlen jedes Jahr rund 1.000 Wohnungen / Neubauprogramm völlig unzureichend
Bremen steht vor einer neuen Wohnungsnot. Schon jetzt suchen Aussiedler Wohnungen und bekommen keine, ausländische Flüchtlinge suchen Wohnungen und bekommen keine, ältere Menschen, Alleinstehende, Behinderte, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger suchen Wohnungen und bekommen keine. Die Wohnungsnot fängt - wie alle sozialen Nöte - bei den Ärmsten und Schwächsten an. Seit die
Ware Wohnung wieder zur Mangelware geworden ist, können sich VermieterInnen nämlich nicht nur ihre MieterInnen aussuchen. Sie können auch die Preise „aussuchen“: Rund 20 Prozent kassierten die Vermieter in den letzten Jahren durchschnittlich mehr. Die allgemeinen Lebenshaltungskosten stiegen im gleichen Zeitraum nur um gut sechs Prozent. Hinzu kommt: Von gut 100 Wohnungen, die in Bremer
Zeitungen zur Zeit noch pro Woche angeboten werden, kosten 80 über 350 Mark Kaltmiete, für 93 werden im Durchschnitt außerdem Maklergebühren und/oder Deponate fällig - zu viel nicht nur für viele MieterInnen, sondern z.B. auch für das Sozialamt.
Politisch zuständig ist damit nicht nur Bausenator Konrad Kunick. Zuständig ist auch Sozialsenator Henning Scherf. In Scherfs Behörde ist deswegen jetzt eine
170 Seiten dicke Studie mit exakten Prognosen erstellt worden, wieviele preiswerte Wohnungen in den nächsten fünf Jahren für Aussiedler und Asylbewerber, Ältere und Alleinstehende fehlen werden. Davon ist zwar noch keine einzige gebaut, aber immerhin eine Erkenntnis gewonnen: Ein jetzt vom Senat beschlossenes Wohnungsbauprogramm, mit dem noch in diesem Jahr 425 neue Wohnungen enstehen sollen, ist bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Nötig wäre mindestens das Doppelte und das nicht nur in diesem Jahr: Auch 1990 müßten mindestens 1.000 Wohnungen neu gebaut werden. Knapp gerechnet. Allein für die in diesem Jahr erwarteten 3.500 Aussiedler wären rund 1.300 Wohnungen nötig. Und selbst wenn die gebaut würden, hätte davon noch kein Drogenabhängiger, kein Haftentlassener, kein Asylbewerber, der mangels Alternativen zur Zeit noch im Zimmer eines Billig-Hotels hausen muß, ein eigenes Dach über dem Kopf.
Senatsdirektor und Scherf-Stellvertreter Hans-Christoph Hoppensack räumte gestern denn auch freimütig ein, daß der Bremer Senat das Problem unterschätzt habe, die Bremer Regierungslinie jetzt dringend „nachjustiert“ werden müsse. Allerdings: An ein großangelegtes Neubauprogramm, das dem gesamten Wohnungsbedarf Rechnung trägt, glaubt auch Hoppensack nicht. Bremens finanzielle Mittel reichen dazu nicht aus.
Auch das Thema „Sammelun terkünfte für Asylbewerber“ ist deshalb in der Sozialbehörde noch längst nicht vom Tisch. Hoppensack: „Wohnungen mit Kudamm vorn und Ostsee hinten - das geht nicht mehr“. Schon jetzt werden in der Sozialbehörde Todesanzeigen systematisch ausgewertet: Möglicherweise hinterläßt der Verblichene ja eine erschwingliche Wohnung. Neben Neubauten setzt die Behörde auch auf den Ausbau von Dachböden und Umbaumaßnahmen, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen.
Unterstützung hat Scherfs Behörde jetzt auch von der zuständigen Bürgerschafts-Deputation für Jugend und Soziales erhalten. Einstimmig forderte sie den Senat auf, den Verkauf von Sozialwohnungen kommunaler Wohnungsbaugesellschaften, z.B. der Gewoba, zu stoppen, und das Neubauprogramm zu erweitern. Die Deputierten gehen dabei einhellig davon aus, daß die Bebauung von Baulücken und Gewerbebrachen allein nicht ausreichen wird. Selbst der Grüne Horst Frehe sprach sich angesichts der Alternative „ökologisch-grüne Wiese, auf der Obdachlose in Zelten kampieren, oder Zubauen der Wiese“ im Zweifel für's Zubauen aus. Allerdings mit einer ausdrücklichen Einschränkung: Das Hollerland darf nicht bebaut werden. Spätestens seit der Scherf-Studie über Wohnungsnot steht Frehe mit dieser Auffassung in der Sozialdeputation allerdings alleine da.
K.S.
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