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Straßburg - und der kleine Unterschied

Weshalb die elsässische Hauptstadt nicht rot-grün werden wird / Der zweite Wahlgang erschwert Koalitionsverhandlungen / „Wir sind nicht in Berlin oder Frankfurt“ / Ein gewählter Bürgermeister braucht keine Koalition  ■  Aus Straßburg A. Smoltczyk

Frankreichs Uhren gehen anders, auch die des Straßburger Münsters. Dabei schien Straßburg für einen Moment lang die nächste rot-grüne Metropole Europas zu werden. Am späten Montag abend segelten bereits die ersten Abzüge des gemeinsamen Programms aus den Druckmaschinen und kündeten von dem „Neuen Straßburg“: mit Trambahn statt Luxus-Metro, begrünten Plätzen und entrußter Luft. Da hieß es plötzlich im Stab der Sozialistin Catherine Trautmann: „Alles stop! Die wollen nicht.“ In der Tat: Mit Zweidrittelmehrheit hatten sich Kandidaten und Regionalkomitee der Grünen gegen die Kooperation entschieden und beschlossen, im zweiten Kommunalwahlgang mit einer eigenen Liste anzutreten.

Straßburgs christlich-sozialer Bürgermeister Rudloff beglückwünschte die Grünen zu soviel Autonomie - die Sozialisten waren entsetzt: Eine „historische Chance“ sei vertan. Als Teil einer gemeinsamen Liste hätten die 12,7 Prozent der „Liste Verte“ vom letzten Sonntag zum ersten Mal seit Kriegsende die Linke ins Straßburger Rathaus gebracht dazu noch angeführt von einer Frau. Aber es kam anders.

„Die Grünen müssen ihre Besonderheit verteidigen. Das geht nur, wenn wir jede Fusion vermeiden.“ Das klingt fundamental, doch Andree Buchmann ist keine Reformhaus -Rebellin mit selbstgestrickten Argumenten aus dem Schatzkästlein von Mutter Natur. Die 33jährige Spitzenkandidatin der Grünen ist eine scharfzüngige Politikerin und seit Mitte der siebziger Jahre in Frankreichs Ökologiebewegung aktiv. Nichts bringt sie mehr auf die Palme als Frager, die den kleinen Unterschied zwischen Frankreich und der BRD vergessen wollen: „Ihr habt in Frankfurt und Berlin nur einen Wahlgang. Danach wird in aller Ruhe über Programme verhandelt. Wir haben wegen der Stichwahl eine Woche später gerade einen Tag Zeit für Verhandlungen, dann müssen die neuen Listen bei der Präfektur abgegeben sein. Ist das normal?“ Für eine basisdemokratische Partei gewiß nicht. Als die sozialistische Kandidatin Catherine Trautmann am Montag abend anrief und ihre Bedingungen nannte, mußte erst die Partei zusammengetrommelt werden, zu Koalitionsverhandlungen ala Berlin blieb gerade eine Stunde. „Sie hat uns ihr Programm mit einigen ökologischen Erweiterungen vorgeschlagen und die Bedingung gestellt, bei den Haushaltsdebatten 'kommunale Solidarität‘ zu beweisen. Wir hätten uns damit die Hände gebunden und den Kontakt zu den Bewegungen verloren. Pas d'accord“, meint Andree Buchmann.

Das französische Wahlsystem läßt auch für Nachverhandlungen keine Möglichkeit. Denn seit Mitterrand 1983 im Zuge seiner Dezentralisierungspolitik beschloß, die lokalen Bürgermeister zu stärken und mit ausreichenden Mehrheiten im Gemeinderat auszustatten, fallen beim zweiten Wahlgang an den stärksten Kandidaten automatisch rund 75 Prozent der Ratssitze. Ein auch nur knapp gewählter Bürgermeister hat dann keine Koalition mehr nötig.

Während die Grünen sich in der verschlafenen Regenbogenstraße der Altstadt vorbereiten, residiert das Büro der 38jährigen Catherine Trautmann an der breiten Schwarzwald-Avenue. In beiden Büros herrscht die gleiche aufgeregte Betriebsamkeit. Doch was in der Regenbogenstraße als stadtpolitische Katastrophe gesehen wird, geißeln die Plakate Trautmanns als verpaßte Chance: Der Ausbau des Flughafens „Entzheim International“ etwa, oder die Stadtautobahn, der Anschluß an den Schnellstzug TGV und der Ausbau des alten Rheinhafens zu einem Innovationspark. Und jetzt verlagert sich auch noch das Europaparlament schrittweise nach Brüssel. „Ich möchte, daß Straßburg in die Moderne eintritt und mit anderen Städten wie Karlsruhe oder Basel konkurrieren kann“, sagt Madame Trautmann, und beklagt die Trägheit des noch amtierenden Bürgermeisters Rudloff.

Genau wie ihr gestern eigens nach Straßburg geeilter Wahlverwandter Premierminister Rocard sieht die gelernte Theologin das Heil in einer forcierten Europäisierung der Stadt. Doch für viele Grüne ist eben das einer der Gründe für ihren Wahlerfolg: „Europa? 50 Prozent der Straßburger fühlen sich davon nicht betroffen. Zu den konkreten Effekten des Europaparlaments zählen ja auch die höheren Mieten, die Luxussanierung der Altstadt, fehlende Taxis und zuviele Flics“, vermutet Andree Buchmann. Hat die „Ville d'Europe“ schon genug von der süßen Zukunft?

Doch ist der plötzliche Erfolg der Grünen nicht auf Straßburg beschränkt. Überall im Elsaß kamen sie auf zehn bis 14 Prozent. Daran nicht unschuldig ist ein Mann, der sich auf Wahlplakaten mit einer Kornähre im Mund gefällt und die französischen Grünen auf strikte Autonomie gegenüber allen Parteien getrimmt hat: Antoine Waechter, Elsässer aus Mulhouse und Anhänger des Prinzipiellen. Jahrelang hatte sich Frankreichs Ökologiebewegung in der Hoffnung auf Mitterrand in politischer Selbstbeschränkung geübt. Erst seit sich Frankreichs Grüne 1984 als Partei konstituierten und sich Waechters Linie des „Weder links noch rechts“ auf dem Kongreß 1986 durchsetzte, geht es aufwärts. „Die Leute haben uns erst vertraut, als wir nicht automatisch der Linken zugezählt wurden“, meint Andree Buchmann, „Tschernobyl und die Sandoz-Rheinverschmutzung 1986, die geplante Müllverbrennungsanlage in Kehl und das in Frankreich völlig neue Medienecho auf das Ozonloch - all das hat die Leute in ihrem Gefühl bestärkt, daß die Ökologisten auch in Frankreich wichtig sind“.

Mühsam genug haben sich Frankreichs Grüne von den Pariser Hauptquartieren freigemacht, oft genug verloren sie ihre Gallionsfiguren an die Parteistrategen wie zuletzt den heutigen Umweltminister Brice Lalonde. Die Straßburger Grünen genießen jetzt erst einmal, von Medien und Politikern hofiert zu werden, sie wollen nur eines sein: präsent. Berliner Verhältnisse kommen später.

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