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Vertane Chance

Zur Hungerstreikdebatte des Bundestags  ■ K O M M E N T A R E

Eine Stunde des Parlaments hätte es sein können und war es nicht. Einen Tag nach der Debatte über die Lehren aus dem deutschen Herbst eine ausgeschlagene Gelegenheit, alte Fehler nicht mit neuen fortzusetzen. Der Versuch Antje Vollmers, aus der von grobschlächtigen Anwürfen geprägten Debattenroutine des Bundestags auszubrechen, bewußt auf Schuldzuweisungen zu verzichten und an Dialogbereitschaft zu appellieren, wurde von den Regierungspartnern zurückgewiesen - durch Entzug, durch kaltherzige Diffamierung.

Eine von Kanzlerschwäche und Trendwende gebeutelte Koalition kann offensichtlich nur mit Krampfgebärden reagieren. Wem selbst der Arsch auf Grundeis geht, dem wird nicht nur das Schicksal der Gefangenen zur Marginalie. Die über den Koalitionären hängende Endzeitahnung mit der Angst um die Fleischtöpfe reduziert die geringen Erfolgsaussichten der Hungerstreikenden deswegen noch weiter. Die Wut in der CDU/CSU-Fraktion über Weizsäckers Begnadigung von Angelika Speitel spricht Bände.

Im bloßen Machterhaltungsgewürge bleibt die intellektuelle Redlichkeit - mehr noch, das Vermögen, über den Sinngehalt einer freiheitlich demokratischen Grundordnung zu reden auf der Strecke. Es bräuchte Souveränität, sich auf dem schmalen Grat zwischen moralisch empfundener Verantwortung und Vergangenheitsbewältigung zu bewegen; daran gebricht es dieser Regierungskoalition mehr denn je. Es bleibt: Eine Bunkermentalität, ein Festhalten an der rituellen Verleugnung jener erbarmungslos exekutierten Rache.

Nicht eine vom Strafgedanken umzirkelte Idee von Rechtsstaatlichkeit steht zur Disposition, wenn der Staat die Verantwortung für die Gefangenen akzeptiert; gefährdet ist vor allem sein Anspruch auf moralische Integrität, wenn er nicht handelt. Die Sorge, auch unbelehrbaren Gefangenen und den Unterstützern zuzuarbeiten, zementiert eine bleierne Zeit und vollendet die Selbstvergiftung eines Gemeinwesens. Dieser Preis ist zu hoch.

Gerd Nowakowski

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