: Freundlichkeit zum ewigen Leben
■ Besuch bei der ihrer Erlösung harrenden Gemeinde der evangelischen Methodisten
Es ist Palmsonntag, der letzte Sonntag vor Ostern. Die Bänke der Erlöserkirche in der Schwachhauser Heerstraße sind fast vollständig besetzt. Die Kirche ist von außen unauffällig, paßt in das Bild mit den vielen Villen in dieser Gegend. Von innen wirkt sie eher schlicht. Die Wände erinnern auf den ersten Blick an Bauwerke aus dem vorigen Jahrhundert. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das als optische Täuschung, hervorgerufen durch - womöglich beabsichtigtes - unsauberes Verputzen. Die Atmosphäre ist heimelig, die Menschen sind freundlich. Ich werde per Handschlag von meiner Nachbarin, einer mir unbekannten älteren Dame, begrüßt.
Für die Mitglieder der evangelisch-methodistischen Kirche ihr gehört dieses Gotteshaus - ist dies ganz offensichtlich kein Pflichttermin. Es ist ihre sonntägliche Feierstunde, sie sind hier Akteure. Mit einem aufwendigen Zeremoniell wird ein neues Mitglied, eine Frau mittleren Alters, in den erlauchten Kreis aufgenommen. Plötzlich erheben sich zahlreiche Frauen und Männer von ihren Plätzen und konstituieren sich vor dem Altar als Kirchenchor. Mit Enthusiamus und Begeisterung ergehen die Lobeshymnen auf den Allmächtigen. Das ist aber noch garnichts gegen die fast fanatischen, in jedem Fall aber kämpferischen, jazzmäßig rythmischen Armbewegungen der Dirigentin.
Aber es ist nicht nur Feierstunde: Rechenschaftslegung für die Zeit seit dem letzten Gottesdienst ist angesagt. Es gilt, die eigenen Fehler der vergangenen Woche zu erkennen, darüber nachzudenken und - an ihre Vergebung zu glauben. Und das ist denn auch die Botschaft von Pastor Reinhard Brose. Der Appell an seine Schäfchen: Abkehr von der Sünde, Festigung des Glaubens und ein striktes Leben nach den christlichen Geboten. Nicht nur für die Mitglieder der evangelisch-methodistischen Kirche - aber hier besonders.
Und weiter? Weiter nichts! Meine Nachbarin nickt verständnisvoll und schuldbewußt. Die Sünden, die sie aus der letzten Woche mit in diesen Gottesdienst gebracht hat, bleiben ihr Geheimnis. Aber der Pastor hat ihre Gedanken in die richtige Richtung geleitet: Hat sie vielleicht Sachen gesagt, die andere Menschen verletzt haben? Oder dort, wo ein mutmachendes Wort gefragt war, geschwiegen?
Mich beschleicht ein ungutes Gefühl. Ja, hier ist eine enge Gemeinschaft, hier herrschen Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Vergebung. Aber darüber hinaus? Mir klingt das sehr nach tatenlosem Warten auf das „ewige Leben“. Und wenn dies ganz schnell und vielleicht kollektiv kommt - etwa nach dem Supergau? Ist das dann Fügung unabänderlich gar? Wenigstens war man dann bis dahin freundlich zueinander. Heino Schomake
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen