: Unverdächtiger Vergewaltiger, widerwillige Richter
■ Nach zweieinhalb Jahren steht mutmaßlicher Vergewaltiger erstmals vor Gericht / „Organe der Rechtspflege“ sahen keinen „hinreichenden Tatverdacht“ / Begründung: Opfer war betrunken, weitere Zeugen nicht zu finden
Nach der Beweisaufnahme scheint folgendes festzustehen: In der Nacht vom 12. auf den 13. November 1986 schleppte der seit 1972 in Deutschland lebende Zeynullah B. die 46jährige Hildegard K. in sein Schlafzimmer, schlug sie so oft ins Gesicht und auf den Hinterkopf, bis sie zu Boden ging, zog ihr trotz ihrer Gegenwehr Hose und Slip aus, warf sie auf sein Bett, preßte gewaltsam ihre Beine auseinander,
steckte seinen Schwanz in ihre Scheide, bis er keine Lust mehr hatte, seinen Schwanz in ihre Scheide zu stecken, rollte sich auf die Seite und schlief. Hildegard K. zog sich an, ging in ihre eigene Wohnung, hielt es dort nicht aus, ging in die nächste Kneipe und trank und trank. „Um ihren Ekel herunterzuspülen“, wie sie nach 2 1/2 Jahren vor Gericht erklärt.
Gründe, an dieser Beschreibung des Endes einer Einwei
hungsfeier zu zweifeln, sind nach siebenstündiger Beweisaufnahme nicht ersichtlich. Noch Tage später stellt eine Ärztin Blutergüsse in Hildegard K.'s Gesicht, an den Innenseiten beider Oberschenkel und über dem Schambein fest. Selbst Zeynullah B. erzählt dem Gericht nichts anderes über den Ablauf jener Novembernacht 1986. Zeynullah B. berichtet gar nichts. Er verweigert die Aussage. Seine Ehefrau
sagt auch nichts anderes. Sie hat nichts gesehen und nichts gehört. Sie schlief fest in einem anderen Zimmer. Auf die Frage, ob sie ihrem Ehemann eine Vergewaltigung zutraue, antortet sie nicht mit nein, sondern so: „Bei Männern weiß man nie.“
Wenn es nach Hildegard K. gegangen wäre, hätte B. nicht erst zweieinhalb Jahre nach der Vergewaltigung vor einem Gericht gestanden. Es ging aber nicht Hil
degard K. Es ging zunächst nach der I. Strafkammer des Bremer Landgerichts. Das lehnte die Eröffung eines Hauptverfahrens ab. Begründung: mangelnder Tatverdacht. Begründung dafür: Erstens es gebe keine Zeugen. Zweitens: Das Opfer sei am Morgen nach der Vergewaltigung so betrunken gewesen, daß Zweifel an seiner Erinnerungsfähigkeit angebracht seien. Auf K.s Drängen legt ihr Anwalt Beschwerde
gegen die Nichteröffnung des Verfahrens ein. Das nächstinstanzliche Oberlandesgericht will deshalb - diesmal von der Generalstaatsanwaltschaft - wissen, ob sie auf einer Eröffnung des Verfahrens besteht. Die Generalstaatsanwaltschaft besteht nicht. Dann trifft das Oberlandesgericht eine fast unvorhersehbare, aber offensichtlich überfällige Entscheidung. Gegen Zeynullah B. ist der Prozeß eröffnet.
K.S.
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