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Wann geht Japans Premier Takeshita?

Der Recruit-Bestechungsskandal treibt die Regierungspartei LDP in die Krise / 100 Millionen Mark für Politiker? / Das Zusammenspiel von Geld und Politik in der „Japan AG“ ist entscheidend in Frage gestellt / Takeshita fürchtet Neuwahlen mehr als die Justiz  ■  Von Jürgen Kremb

In Japan werden die Stimmen immer lauter, die einen baldigen Rücktritt des Ministerpräsidenten Noboru Takeshita fordern wegen seiner Verstrickung in den Recruit-Bestechungsskandal. Der größte Finanzskandal Nachkriegsjapans scheint das baldige Ende der Herrschaft der seit 1955 alleinregierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) einzuläuten. Zeitungen beklagen eine tiefe Vertrauenskrise in der japanischen Politik. Freilich ist dies nur ein Synonym dafür, daß das Zusammenspiel von Geld und Politik, das Modell der „Japan AG“ schlechthin, wie nie zuvor in Frage gestellt wird.

Anfänglich wollten es die japanischen Kommentatoren gar nicht so richtig wahrnehmen, als die Namen von Spitzenpolitikern und Wirtschaftsgrößen in Verbindung mit Aktienpaketen in Millionenhöhe im letzten Sommer in der Öffentlichkeit gehandelt wurden. Zunächst war nur von der „üblichen Unmoral“ in der Politik die Rede, als bekannt wurde, daß Vertreter aller Parteien schon 1985 Aktien des Recruit-Cosmos-Konzerns erwerben konnten, bevor diese an der Börse notiert wurden. Dabei erzielten sie möglicherweise Gewinne von umgerechnet 100 Millionen. Bestenfalls von „Insider-Geschäften“ wurde gesprochen, an denen nur die Sekretäre, Söhne oder Ehefrauen von insgesamt 15 hochrangigen Politikern und Wirtschaftsgrößen beteiligt gewesen sein sollen. Daß unter ihnen Namen wie Expremier Nakasone, der amtierende stellvertretende Arbeitsminister Takashi Kato und Ministerpräsident Takeshita waren, regte niemand auf.

Im Dezember wurden dann der stellvertretende Arbeitsminister Kato und der Aufsichtsratsvorsitzende der Nippon Telefon- und Telegrafengesellschaft (NTT), Hasashi Shinto, verhaftet worden. Noch vor Jahresende mußte der Justizminister Takahashi Hasegawa nach vier Tagen im Amt seinen Hut nehmen; auch er hatte sich mit der Transaktion ordentlich die Taschen gefüllt.

Noch ist unklar, welche Vorteile sich der Gemischtwarenladen Recruit mit dem Aktiendeal von Spitzenpolitikern erkauft hat, doch wird mittlerweile offen von Korruption und Beugung der Gesetzgebung gesprochen. Das Unterrichtsministerium wurde offenbar vom Recruit-Konzern reichlich geschmiert, denn es vertreibt Informationsmaterialien für Berufsanfänger. Im Land des Lächelns und Bestechens findet fast jeder Berufsneuling seine Arbeitsstelle über eine Vermittlungsagentur. Ein sehr lukratives Geschäft auch für die Abteilung von Recruit. Schon 1986 hatte der Konzern beim Unterrichtsminister angefragt, ob nicht ein Manager der Firma einfach direkt als Staatssekretär im Ministerium unterzubringen sei. Sicherlich die einfachste Lösung. Doch winkte die Behörde zunächst ab, um später dann doch zuzusagen.

Offenbar waren all diese Praktiken in der Vergangenheit unter japanischen Politikern und Industriellen als wenig anstößig empfunden worden. Journalisten glauben auch, daß der Skandal nur an die Öffentlichkeit kam, weil Recruit allzu tollpatschig geschmiert hatte. Schon während der ersten Meldungen über den Skandal hatten Konzern-Vertreter einen Unterhausabgeordneten bestechen wollen, der sich auf die Enttarnung solcher Skandale spezialisiert hatte. Eine versteckte Kamera filmte die ganze Szene mit. Expremier Nakasone war weniger knausrig. Er kassierte für sein Schweigen umgerechnet nochmals 71.600 Mark. Was vielen Japanern jetzt einen Schock versetzt hat, ist nicht, daß Politiker und Industrielle an dem lukrativen Handel beteiligt waren, sondern daß auch Elitebürokraten wie Kato Geld einsteckten. Sie galten bisher als absolut unbestechlich. Ferner offenbart die Affäre, daß das gesamte System der japanischen Parteienfinanzierung bestenfalls an feudale Sitten erinnert und nicht an eine Wirtschaftsgroßmacht, denn es leistet all diesen Machenschaften geradezu Vorschub.

Zwar wurde nach dem Tanaka-Lockheed-Skandal 1975 verboten, daß die Industrie Pauschalsummen auf die Konten der Parteien überweist. Dafür wird jetzt der einzelne Abgeordnete in Unter- und Oberhaus ausgehalten. Und der hat das auch bitter nötig. Ein Neuling unter den Parlamentariern braucht immerhin schon 100 Millionen Yen (1,4 Millionen Mark), ein Minister gar umgerechnet über sieben Millionen Mark, um seine jährlichen Ausgaben decken zu können. Denn die LDP ist keineswegs eine festgefügte Partei, sondern eher eine Verbindung von Fraktionen, die sich teils bis aufs Messer bekämpfen. In Materialschlachten treten oft mehrere LDP -Abgeordnete in einem Wahlkreis gegeneinander an. Bis zu fünf Politiker können pro Kreis ins Parlament einziehen. Da gilt es, Hochzeiten zu besuchen, bei Geschenken nicht zu knausern, den Baseballklub zu beschenken und den Kindern von Wählern einen Platz an einer Universität in Tokio oder in einer Firma zu erkaufen.

„Das System stinkt am Kopf“, motzte jetzt die 'Asahi Shimbun‘, führende Tageszeitung des Landes. Auch die Wähler haben das mittlerweile gemerkt. In der Präfektur Fukuoka hat die LDP bei einer Nachwahl schon erhebliche Wahlschlappen einstecken müssen. 200.000 Stimmen lag die Regierungspartei in dem erzkonservativen Kreis hinter der japanischen sozialistischen Partei (JSP) zurück. Takeshita fürchtet deshalb auch eine Wahl mehr als die Ermittlungsbehörden. Im Juni steht turnusgemäß die Wahl für die Hälfte der Sitze im Oberhaus an. Forderungen lauten jetzt nicht nur, daß der Premier seinen Sessel räumen soll, sondern daß Neuwahlen für das Unterhaus ausgeschrieben werden. Doch für diesen Fall sehen die meisten Beobachter schon ein Ende der 24jährigen Alleinherrschaft der LDP voraus.

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