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Neue Mehrheiten

Zu den Wahlen in Frankfurt und Berlin, Straßburg und Marseille  ■ K O M M E N T A R E

Unversöhnlich wie Tag und Nacht schieden sich die politischen Verhältnisse seit dem Krieg an den Ufern des Rheins, zwischen der Bundesrepublik und Frankreich. Links und Rechtsregierungen lösten sich in Bonn und Paris ab, doch niemals regierte in beiden Hauptstädten der gleiche politische Geist. Erst vertrugen sich die Linksregierungen der 4.Republik schwer mit Konrad Adenauer, dann setze de Gaulle eigenwillige Markenzeichen. Viel später fiel der historische Wahlsieg Mitterrands 1981 in die Zeit der Bonner Wende. Heute aber, bei vorsichtiger Vorausschau, gibt es Anzeichen für eine Aufklärung des politischen Himmels über dem Rhein. Sind die Wahlen in Berlin, Frankfurt und Straßburg Vorboten für eine Angleichung an der deutsch -französischen Grenze von Tag und Nacht?

Erstmals in der dreißigjährigen Geschichte der 5.Republik ließen sich die französischen Wähler bei den Kommunalwahlen der vergangenen Sonntage weder vom Mehrheitswahlrecht noch vom politischen Druck aus Paris in das überlebte Rechts -Links-Schema von Bürgerlichen und Linksunion drängen. Diejenigen Franzosen, die vor einer Woche rechtsradikal oder grün gewählt hatten, änderten auch beim zweiten Wahlgang ihr Votum kaum und nahmen damit wegen des Mehrheitswahlrechts bewußt in Kauf, nur wenige politische Vertreter entsenden zu können. Dieses für den Zentralstaat Frankreich systemsprengende Wählerverhalten läßt die neuen politischen Parallelen zwischen Frankreich und der Bundesrepublik erkennen.

Neu in Frankreich ist das politische Erscheinen der Grünen zeitgleich mit dem rechtsradikalen Coming-out in der Bundesrepublik. Es wird eine Harmonisierung des Wählerverhaltens links und rechts des Rheins deutlich. In beiden Ländern sind es sozial bedrohte Wählerschichten, die sich den Rechtsradikalen hinwenden, in beiden Ländern ist es die aufgeklärte städtische Mittelschicht, die grün wählt. Gleichermaßen, wie die anhaltenden Wahlerfolge von Jean -Marie Le Pen den bundesdeutschen Rechtsradikalen eine reiche Zukunft versprechen, kann die grüne Erfolgswelle aus der Bundesrepublik nach Frankreich übergreifen. Eins haben Grün- und Braunwähler auf beiden Seiten des Rheins tatsächlich gemeinsam: Sie untergraben die festgefügten politischen Konstellationen der Nachkriegszeit.

In einer solchen politischen Perspektive hat die Rechte das Nachsehen. Der ideologische Graben zwischen Reformern und Revolutionären auf der Linken - in Frankreich zwischen Sozialisten und Kommunisten, in der Bundesrepublik zwischen SPD und außerparlamentarischer Opposition - ist heute zugewachsen, nicht zuletzt aufgrund der Grünen und der neuen ökologischen Themen; statt dessen klafft auf der Rechten die neue alte ideologische Kluft. Heute ist in Frankreich das rechte Wählerpotential gespalten, die Konservativen sind auf lange Sicht regierungsunfähig. Verantwortlich ist Jean-Marie Le Pen. Schon morgen droht der bundesrepublikanischen Rechten das gleiche Schicksal.

Mit Rocard sind die Alt-68er in Paris bereits an der Macht, mit Lafontaine kann 1990 die gleiche Generation in Bonn ans Ruder kommen. Einen Umweltminister aus der grünen Bewegung, der nun an Atomkraftwerken freilich nichts mehr auszusetzen hat, gibt es auch heute schon in Paris. So kommen sich Bundesdeutsche und Franzosen näher.

Georg Blume, Paris

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