piwik no script img

Sam Nunn - die graue Eminenz im Pentagon

Der Senator aus Georgia hat sich - protegiert von einflußreichen Verwandten - an die Spitze der Macht im Verteidigungsministerium vorgearbeitet / Mit bedächtigem Taktieren und zähem Fleiß arbeitet Nunn an der Durchsetzung seines Nato-Konzeptes / Er hat sich zum starken Gegenspieler von Bush entwickelt  ■  Von Andreas Fürst

George Bush hätte es besser wissen müssen. Anstatt seine Zeit damit zu vergeuden, seinen Freund aus Texas, John Tower, durch den Senat zu boxen, hätte er ein Augenmerk auf seinen Widersacher im Kongreß legen sollen. Sam Nunn, 51 Jahre alt und seit 17 Jahren Vertreter des südlichen US -Bundesstaates Georgia im Senat, ist äußerlich eher unscheinbar und auch bei seinen Auftritten alles andere als charismatisch. Dennoch gilt er als einer der Mächtigsten im US-Kongreß, wenn es um Fragen der Rüstung geht.

Nachdem sich Nunn letzten Monat öffentlich gegen die Nominierung von Tower zum neuen Pentagon-Chef ausgesprochen hatte, gab es für Kongreß-Insider deshalb auch keinen Zweifel mehr an der Niederlage des ehemaligen Senators - und des Präsidenten. Nunn hat die Machtprobe zwischen dem Weißen Haus und dem Senat gewonnen, denn der letzte Woche vom Senat als neuer Pentagon-Chef bestätigte Richard Cheney ist kein Rüstungsexperte. Mehr als bisher wird gelten: ohne Nunn keine Entscheidung zu Fragen der nationalen Sicherheit.

Der Aufstieg in diese Machtposition war Nunn von seinem Großonkel, dem Senator Carl Vinson, seinerseits Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im US-Repräsentantenhaus, geebnet worden. Nach einem Jurastudium wurde er in das Parlament von Georgia gewählt. Dies sollte ihm als Sprungbrett für den Eintritt in die große Politik dienen.

Was seine Positionen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich betrifft, so hat Nunn gehalten, was er Anfang der siebziger Jahre versprochen hatte. 1985 zum Beispiel stimmte er öfter für Positionen von Ronald Reagan als jeder andere Demokrat und wurde von den Lobbygruppen neben dem Senator von Alabama, Howell Heflin, als konservativster Demokrat im Senat eingestuft.

Durch die Vermittlung seines Großonkels bekam Nunn eine informelle Zusage der Verteidigungsausschußmitglieder und konnte diese Aussicht auf einen Sitz in dem mächtigen Ausschuß und damit die Sicherung von Rüstungsaufträgen für Georgia geschickt in der heißen Phase des Wahlkampfes für sich nutzen. Er wurde mit 54 Prozent der Stimmen in den Senat gewählt und erhielt dort den begehrten Sitz im Verteidigungsausschuß.

Rüstungsaufträge

für Georgia

Nunns politischer Stil ist geprägt von Vorsicht und dem Willen zum Ausgleich: „Wir dürfen nur so wenig wie möglich Parteipolitik machen, wenn es um die nationale Sicherheit geht.“ Da er immer etwas mehr weiß als die anderen, konnte er sich langsam, aber stetig zu einer Autorität in Verteidigungsfragen hocharbeiten. Nur im Bereich der Verteidigungspolitik konnte er zu seinem gegenwärtigen Status aufsteigen, da er in anderen Bereichen für die Demokraten zu weit rechts steht, für die Republikaner aber als Demokrat nicht repräsentativ ist.

Als Senator ist er nicht zimperlich, wenn es um die Interessen von Georgia geht. So geriet er 1982 in eine Auseinandersetzung mit seinem früheren Mentor im Verteidigungsausschuß, Senator Henry Jackson, als es darum ging, ob das Nachfolgemodell des Transportflugzeuges C-5, „Galaxy“, in Georgia oder in dem Bundesstaat Washington gebaut werden sollte. Während er diese „Geschäfte“ lieber nicht in der Öffentlichkeit abwickelte, hat er sich für seine Profilierung Themen ausgesucht, die weniger mit Einzelinteressen beladen sind. Ein Bereich, der sich dazu besonders eignet, ist die Nato.

Lieblingsthema Nato

Gerade einige Monate im Amt, bekam Nunn seine erste Gelegenheit, sich auf diesem Gebiet zu profilieren. Senator Mike Mansfield hatte wieder einmal einen Gesetzesentwurf eingebracht, der eine Reduzierung der US-Truppen in Europa zum Ziel hatte: 300.000 Soldaten und deren Angehörige auf dem europäischen Kontinent trügen erheblich zu dem Zahlungsbilanzdefizit der USA bei. Die Zurückweisung des Gesetzes mit nur sechs Stimmen Mehrheit zeigte die Stimmung im Senat. Daraufhin brachte Sam Nunn zusammen mit Henry Jackson einen Gesetzesvorschlag ein, der den Präsidenten verpflichtete, Ersatzzahlungen für die Mehrkosten, die bei der Stationierung von Truppen in Europa anfielen, bei den Verbündeten einzufordern. Diese vorsichtige Formulierung bescherte dem Entwurf eine überwältigende Mehrheit und dem jungen Senator Sam Nunn einen beachtlichen Erfolg.

In dem folgenden Jahr besuchte Sam Nunn eine Reihe von Nato -Staaten. In seinem Report über diese Reise sprach er sich einerseits für einen Status quo der US-Truppenstärke in Europa aus, kritisierte aber gleichzeitig einige „schwerwiegende Probleme“ innerhalb der Nato-Strategie: die lange Vorwarnzeit für die Nato-Truppen sowie deren Stationierung in zu großer Entfernung zur innerdeutschen Grenze; die zu geringe Kampfstärke der Nato-Verbände und die zu geringe konventionelle Verteidigungsfähigkeit der Nato, welche das Bündnis im Ernstfall zu schnell zum Einsatz von Nuklearwaffen zwingen würde.

Diese Themen sind bis heute das Leitmotiv von Sam Nunns Nato-Politik geblieben. Entsprechend lauten seine Verbesserungsvorschläge: Stärkung der konventionellen Streitkräfte der Nato; größere Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Nato-Staaten bei der Entwicklung und dem Bau von Waffensystemen und eine Militärstrategie, die es der Nato erlaubt, ihren technischen Vorsprung gegenüber dem Warschauer Pakt voll auszunutzen.

Die Pläne Nunns ließen die europäischen Bündnispartner weitgehend unbeeindruckt. Erst 1984 kam wieder ein bißchen Bewegung in die transatlantischen Beziehungen, als Sam Nunn einen Gesetzeszusatz einbrachte, der den Rückzug von 90.000 amerikanischen Soldaten vorsah, wenn die Europäer nicht unverzüglich die gemeinsam festgelegten Verbesserungen durchführten. Angeblich war Nunn selber darüber erschrocken, daß dieser Vorschlag trotz intensiver Lobbyarbeit der Administration eine Mehrheit im Senat nur knapp verfehlte.

Auch zur „Modernisierung“ der nuklearen Kurzstreckenraketen in Europa war seine Position schon klar, bevor diese noch zum transatlantischen Streitpunkt wurde. Bereits in den Anhörungen zum INF-Vertrag erklärte er, daß „die Modernisierung unserer verbliebenen taktischen Nuklearwaffen absolut notwendig ist“. Zugleich sprach er sich aber gegen einen atomaren „quick fix“ (schnelle Lösung) in Europa aus und betonte, daß das Ziel die Erhöhung der Nuklearschwelle sein müsse.

Konventionelle

Verteidigung stärken

Neben Vorschlägen zur Rüstungskontrolle hat Nunn eine Stärkung der konventionellen Verteidigungsfähigkeit der Nato im Auge. In seiner „Verteidigungsagenda für den nächsten Präsidenten“ trat er im letzten Sommer für eine größere Arbeitsteilung innerhalb der Nato ein. Die USA sollen sich auf die atomare Abschreckung, die Sicherung des Atlantiks und auf mobile und flexible Truppen konzentrieren, während die Europäer und dabei besonders die Bundesrepublik ihren Schwerpunkt auf schwere Waffensysteme wie Panzer und Artillerie legen sollten. Doch ist nicht anzunehmen, daß er selber in nächster Zeit eine größere Initiative auf diesem Gebiet starten wird.

Neben der Nato-Politik hat Sam Nunn noch andere Themen, auf die er immer wieder zurückkommt. In den siebziger Jahren richtete sich seine Kritik gegen die damals gerade eingeführte Freiwilligen-Armee.

Nunn war auch eine treibende Kraft hinter einem Gesetz, welches das Pentagon 1986 neu strukturierte. Damit wurde dem Oberbefehlshaber mehr Kompetenz gegenüber den Teilstreitkräften gegeben.

Suche nach der

atomaren Balance

Zu den Nuklearwaffen nahm Sam Nunn eine viel vorsichtigere Haltung ein. Sein Hauptaugenmerk richtete er dabei immer auf die Unverwundbarkeit von nuklearen Systemen, in der er die Garantie für die atomare Balance sieht. Er unterstützte den Plan von Präsident Carter, MX-Raketen in unterirdischen Tunneln mobil zu stationieren. Als Reagan an die Macht kam und diesen Plan verwarf, ohne einen eigenen überzeugenden Stationierungsplan vorzulegen, bildeten sich starke Widerstände gegen die MX-Rakete im Kongreß. Nunn wählte damals die Rolle eines Vermittlers. Einmal handelte er mit Präsident Reagan einen Kompromiß aus, der vorsah, daß der Kongreß die Gelder für die Fortführung des MX-Programmes bewilligte, während die Administration ihre Bemühungen bei den Rüstungskontrollverhandlungen in Genf verstärken sollte. 1985 schließlich half er, die Auseinandersetzung zwischen Kongreß und Präsident mit einem Ausgleich zwischen beiden zu beenden. Die MX wurden in verwundbaren Minuteman-Silos stationiert, dafür wurde ihre Zahl auf 50 beschränkt.

Bei der strategischen Verteidigungsinitiative lehnte er Reagans Vorstellung eines Schutzschildes über Amerika als „unrealistisch“ ab, stimmte jedoch gegen starke Kürzungen bei diesem Programm. Davon erhoffte er sich eine Technologie, die eine punktuelle Verteidigung für die US -Raketensilos möglich machen und somit zur Unverwundbarkeit des Nuklearpotentials der USA beitragen könnte.

Seine Kollegen halten Nunn für ein Genie, den Moment zu erkennen, wenn sich die jeweiligen Seiten gegenseitig aufgerieben haben, um dann als kenntnisreicher Schlichter mit einem Kompromiß aufzuwarten. Treffsicherheit und Detailwissen machten ihn zur grauen Eminenz des Kongresses. Sein Einfluß auf die US-Politik steigt in dem Maße, wie der Kongreß an Macht gegenüber dem Präsidenten gewinnt.

Der Streit mit seinen Widersachern im Weißen Haus war weder die erste noch wird sie die letzte Attacke sein, die Nunn gegen Bush führt: Als 1975 der damalige Präsident Ford Bush zum CIA-Chef machte, setzte Nunn durch, daß es bei dieser Beförderung blieb. Bushs Kandidatur als Vize unter Ford im Wahljahr '76 wurde explizit ausgeschlossen. Der Erfolg war jedoch nur vorübergehend, wie Bushs Aufstieg ins höchste Amt wenige Jahre später beweist. Ist dies ein Omen für die Präsidentschaftswahl 1992, wenn Nunn neben Jackson als einflußreichste Persönlichkeit der Demokratischen Partei die Rolle des Herausforderers übernehmen muß?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen