: Deutsche (Handels-)Freiheit in Südafrika
■ Wichtigster Wirtschaftspartner der Rassisten soll durch Flucht in bundesdeutsche Botschaft brüskiert werden
Die BRD hat letztes Jahr Japan als wichtigsten Handelspartner des Rassistenstaates abgelöst. Weder die USA noch Japan können es sich politisch noch leisten, den Spitzenplatz einzunehmen. Sanktionsgewinnler sind bundesdeutsche Firmen, allen voran VW, Daimler Benz und BMW. Darauf wollten die vier Anti-Apartheidaktivisten mit ihrer Flucht in die Botschaft in Pretoria aufmerksam machen.
Von außen sieht die bundesdeutsche Botschaft diplomatisch ruhig und gelassen wie immer aus. Die Funkantennen auf dem Dach wiegen sich gemächlich im Wind. Der Garten, der hinter der hohen, mit scharfen Metallzacken besetzten Mauer liegt, wird bewässert. Es ist heiß - 29 Grad im Schatten.
Hinter der Fassade verbirgt sich dieser Tage fieberhafte Aktivität. Über die Antennen läuft der ständige Kontakt mit dem Auswärtigen Amt in Bonn, während drinnen Matratzen für die vier schwarzen Flüchtlinge zurechtgelegt werden. Das Telefon klingelt ununterbrochen, Besucher werden abgewiesen, und die Diplomaten müssen die Nacht am Arbeitsplatz verbringen. Denn die Anti-Apartheidaktivisten müssen auch hier rund um die Uhr bewacht werden. Offiziell ist nur zu hören, daß sie eine „gute Nacht“ hatten und daß niemand sie zum Verlassen der Botschaft zwingen wird.
In einer am Montag abend veröffentlichten Erklärung fordern Clive Radebe (28), Ephraim Nkoe (28), Mpho Lekgoro (24) und Job Sithole (21) ihre sofortige und bedingungslose Freilassung. Außerdem soll der nach einem 33tägigen Hungerstreik in Lebensgefahr schwebende Sanidle Thusi sowie alle anderen Häftlinge freigelassen werden, die vom Apartheidregime ohne Verfahren festgehalten werden. Die vier hatten zusammen mit Hunderten von anderen Häftlingen für ihre Freilassung gehungert. Ohne Erfolg. Dann waren sie aus einem Krankenhaus in Johannesburg geflohen, wo sie wegen der Auswirkungen des Streiks behandelt wurden.
Thusi wird in der Intensivstation in einem Krankenhaus in der Hafenstadt Durban behandelt. Der oppositionelle Parlamentarier Peter Gastrow hatte am Montag mit dem Minister für Recht und Ordnung, Adriaan Vlok, über Thusi gesprochen. Er gab an, daß Vlok noch diese Woche entschieden würde, ob Thusi freigelassen wird.
„Wir haben diese Aktion unternommen um die internationale Gemeinschaft noch einmal auf das Schicksal von Hunderten von Häftlingen hinzuweisen, die nach wie vor in Apartheidkerkern festgehalten werden“, sagten die vier in ihrer Erklärung. Menschenrechtsgruppen schätzen, daß mindestens 350 Leute ohne Verfahren im Gefängnis sind.
Vlok hat gestern angekündigt, daß die vier inzwischen praktisch frei seien. Die Entlassungsbefehle würden noch am Dienstag den Anwälten der vier übergeben werden. Priscilla Jana, Anwältin von Radebe und Sithole, hatte bis zum Nachmittag jedoch noch keine Dokumente von Vlok erhalten.
„Ich glaube nicht, daß sie jetzt die Botschaft verlassen werden“, sagt Audrey Coleman, Mitarbeiterin des Hilfsbüros für Häftlinge. „Sie haben ihre bedingungslose Freilassung gefordert - und die meisten Leute sind nur nach Auflage von Restriktionen freigelassen worden.“ Ein Sprecher für Vlok wollte in der Tat keine Zusicherung geben, daß ihnen keine Restriktionen auferlegt werden würden. Vlok zufolge wurden seit Anfang Februar 520 Häftlinge freigelassen. Menschenrechtsgruppen haben hingegen bisher weniger als 300 Freilassungen bestätigt. Außerdem dürften sich mehr als 90 Prozent der Freigelassenen nicht frei bewegen. Restriktionen bedeuten in der Regel nächtlichen Hausarrest, Versammlungsverbot und regelmäßige persönliche Meldung bei der Polizei. „Die Restriktionen bedeuten, daß sie gar nicht richtig frei sind“, sagt Coleman. „Das ist wie ein Gefängnis außerhalb des Gefängnisses.“
Coleman zufolge sind die Restriktionen eine bewußte Form der Belästigung. Ein Lehrer kann beispielsweise nicht arbeiten, weil er vor keiner Gruppe von mehr als zehn Menschen sprechen darf. Studenten können nicht studieren, weil sie sich zur Vorlesungszeit bei der Polizei melden müssen. Für andere sind die Transportkosten, um regelmäßig zur Polizei zu fahren, nicht zu finanzieren.
Vlok soll indessen wütend darüber sein, daß nun schon zum zweiten Mal Häftlinge offenbar problemlos ihren Polizeiwachen im Krankenhaus entkommen konnten. Im September letzten Jahres waren drei führende Mitglieder der UDF, dem verbotenen Oppositionsbündnis, aus dem Krankenhaus in das US -amerikanische Konsulat in Johannesburg geflüchtet. Sie konnten nach sechs Wochen das Konsulat verlassen und danach sogar nach Europa reisen.
Tatsächlich sind die Sicherheitsvorkehrungen im Krankenhaus überraschend schlecht - auch wenn jeder Häftling von einem eigenen Polizisten bewacht wird. Ende Februar konnten Journalisten im Garten desselben Spitals ungestört mit Häftlingen sprechen, während die Polizeiwachen in einiger Entfernung im Schatten saßen. Einer der vier Botschaftsflüchtlinge soll die Fluchtaktion sogar detailliert vorbereitet haben, als er sich vor kurzem ein paar Stunden „Hafturlaub“ nahm.
Bewußt wählten die Flüchtlinge dabei die bundesdeutsche Botschaft. Aus Oppositionskreisen wurde bekannt, daß die Flüchtlinge an den Besuch des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß im Januar 1988 in Südafrika erinnern wollen.
Damals hatte Strauß sich die Freilassung von Häftlingen gewünscht und als Freundschaftsgeschenk von Rassisten-Chef Botha die Freilassung von einigen wenigen erreicht. Die derzeitige Aktion soll, so die Informanten, die Bundesregierung mit Nachdruck darauf hinweisen, daß noch immer Hunderte ohne Verfahren hinter Gittern sind. Der Zeitpunkt für die Aktion ist gezielt gewählt: Vor 29 Jahren erschoß die Polizei in Sharpeville 69 schwarze Demonstranten, als sie gegen die Apartheidpolitik protestierten. Am selben Tag vor vier Jahren kamen bei Auseinandersetzungen mit der Polizei 21 Menschen ums Leben.
Audrey Coleman betont, daß die Häftlinge noch immer im Gefängnis wären, wenn sie nicht den Hungerstreik veranstaltet hätten. „Vlok hatte sie einfach vergessen“, sagt sie. „Alle Länder sollten die vollkommene Abschaffung der Inhaftierung ohne Verfahren fordern.“
hb
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen