: AL-Senatorinnen: Hochstaplerinnen im Planquadrat?
■ Welche Handlungsspielräume haben die AL-Senatorinnen? Koalitionsvereinbarungen von Haushaltsplänen fest umwickelt / Senatsvorlagen aus CDU-Hand / Ein Beispiel: die neue alte Senatsverwaltung für Frauen, Familie und Jugend
Der morgendliche Weg zur neuen Arbeitsstätte ist eingefahren, der Regierungssessel angewärmt, die Posten der StaatssekretärInnen und PressesprecherInnen besetzt, die ersten Unterschriften getätigt - es darf regiert werden von den neuen Senatorinnen und Senatoren und am besten im Rampenlicht. Mit besonderer Aufmerksamkeit werden dabei vor allem die AL-Senatorinnen verfolgt, die mit einem Bündel von Erwartungen, einem Packen Unerfahrenheit in der Verwaltungsarbeit und den hochgesteckten Versprechungen des Koalitionspapiers an die Arbeit gehen. Doch welchen Handlungsspielraum haben die neuen Senatorinnen tatsächlich? Ein Beispiel: die Senatsverwaltung für Frauen, Jugend und Familie.
Das preußisch-miefigen Behördencharme ausströmende Gemäuer am Karlsbad gilt - im Vergleich zu der Senatsschulverwaltung - noch als relativ „einfaches“ Ressort. Doch auch diese Verwaltung hat die natürliche Bewegungsunlust einer gut gepanzerten Schildkröte. „Wer hier glaubt, schnell etwas verändern zu können, ist auf dem Holzweg“, meint eine Mitarbeiterin, „das hat selbst die Laurien nicht geschafft“
-und das will bei der verwaltungsversierten, resoluten Hanna Renata offenbar was heißen. Rund 670 Angestellte und BeamtInnen arbeiten bei „Sen.Jug.“, die meisten von ihnen schon seit mehr als 20 Jahren. Vielleicht zehn Prozent der MitarbeiterInnen, so schätzen einige, seien überhaupt bereit und in der Lage, politisch-strategisch an neuen Ideen zu arbeiten, „der Rest verwaltet und pflegt Alltagsroutine.“ Die Phantasiefähigkeit dieser Behörde, so behaupten böse Zungen, tendiere gegen Null. Daß nun etwas frischer Wind einkehrt und vielleicht endlich inhaltlich über die Arbeit diskutiert wird, erhoffen einige engagierte MitarbeiterInnen von „Sen.Jug.“. Die Wahl des neuen Staatssekretärs Gerd Harms sei da gar kein so schlechter Anfang. Ob es der neuen Chefin Anne Klein jedoch tatsächlich gelingen wird, die verkrustete Phantasie wieder etwas anzustacheln, werde im wesentlichen von ihrer Kooperationsbereitschaft mit den unteren Rängen abhängen und ihrem persönlichen Umgangston.
Amtsvorgängerin Schmalz-Jacobsen hat der Nachfolgerin Klein zwar am vergangenen Freitag einen freundlichen Empfang bereitet. In den vergangenen Jahren hat sie aber gleichzeitig dafür gesorgt, daß die AL-Senatorin sich nun an festgezurrten Personalpaketen die Zähne ausbeißen kann. Ihren persönlichen Stab aus drei Frauen und ihre beiden StaatssekretärInnen kann Senatorin Klein zwar selbst besetzen. Unterhalb dieser Ebene sind jedoch sämtliche Führungspositionen längst besetzt. Auf den vier ranghöchsten Posten, den Stellen der Abteilungsleiter, sitzt ein aufrechter Sozialdemokrat. Die drei anderen Posten teilen sich ein rechter FDP-Mann (Spitzname: „law and order“, Wandtke), ein CDU-Mann, dem enge Kontakte zu Heiner Geißler und Ulf Fink bescheinigt werden, und eine CDU-Frau (amtsinterne Charakterisierung: „Kaffeetante“). Fest in CDU/FDP-Hand ist auch die darunter liegende Stufe der Amtshierarchie. Die Spitze des Referats Kindertagesstätten, das mit rund 160 Millionen Mark pro Jahr fast die Hälfte des Gesamtetats der Senatsverwaltung verschlingt, ist beispielsweise mit dem Ehegatten der CDU-Abgeordneten und einstigen stellvertretenden Parlamentspräsidentin Wiechatzek besetzt. Will die neue Senatorin auch nur einen Kitaplatz mehr schaffen oder - wie im Koalitionspapier versprochen die Kita-Warteschlange abbauen, darf sie vertrauensvoll Herrn Wiechatzek um eine erfolgversprechende Senatsvorlage bitten.
Auch beim neuen Hoffnungsträger, dem Frauenreferat, sind die wichtigsten Weichen qua parteipolitischer Personalpolitik gestellt: Vierzehn Tage vor ihrem Abgang hat die scheidende Senatorin Schmalz-Jacobsen ihre persönliche Referentin und Parteikollegin Frau Lubis schnell auf den einflußreichen Sessel der Leiterin für „Grundsatzfragen der Frauenpolitik“ gehievt. Und die jetzige Frauenbeauftragte Carola von Braun hat ohnehin noch einen Zeitvertrag bis Ende 1990. Ob die FDP-Frau bleiben soll, wird die erste politische Entscheidung der Feministin Klein sein. Wenn ja, dann müßte ihr wahrscheinlich eine gleich hoch angesiedelte Frau zur Seite gestellt werden, und das kostet Geld.
Überhaupt das Geld! Wie überall ist es auch in der Senatsverwaltung Dreh- und Angelpunkt, nur - so meinen MitarbeiterInnen der Behörde am Karlsbad - hier sei auf Heller und Pfennig alles ausgereizt. Die Haushaltsvorschläge für 1990 sind schon im letzten November erstellt worden, die hausinterne Abwägung zwischen den Ressorts ist schon im Januar über die Bühne gegangen und im Mai wird der neue Finanzsenator auf dieser Grundlage sein Prüfergebnis mitteilen, sprich den einzelnen Senatorinnen sagen, wie wenig Geld sie 1990 zur Verfügung haben. Wenn die neue Chefin sich nicht beeilt und in Senatsvorlagen neue Ausgaben begründet, wird sie im Juni bei den sogenannten Einwendungsverhandlungen zum Haushalt keinen einzigen Pfennig und keine Stelle mehr herausschlagen können.
Ohnehin, so meinen Kenner der Etatberatungen, hätten Newcomer wie die neuen Senatorinnen gegenüber den ausgefuchsten Finanzfachleuten der Verwaltung, die über jahrelange Pokerpraxis verfügen, kaum eine Chance. Gelingt es der Senatorin Klein jedoch nicht, ihren Amtskollegen Meisner von einer beträchtlichen Neuverschuldung zu überzeugen, dann werden die 30 zusätzlichen Stellen im Frauenreferat, die Anne Klein kürzlich in einem taz -Interview anvisiert hat, Zukunftsmusik bleiben. Oder sie müßten aufgrund klarer Prioritätensetzung von anderen hausinternen Bereichen abgezogen werden. Und das ruft garantiert nicht nur einen verärgerten Personalrat auf den Plan, sondern programmiert auch Konflikte mit den anderen Abteilungen vor.
Ohnehin ist die finanzielle Manövriermasse für interne Verschiebungen im Haus am Karlsbad minimal. Der größte Batzen des 370-Millionen-Etats geht für fixe Kosten wie Kitas oder Unterhaltsvorschüsse drauf. Wenn der rot-grüne Senat nicht eine riesige Neuverschuldung in Kauf nimmt, könnte in der Jugendverwaltung nur noch bei den freien Kinder- und Jugendprojekten abgespeckt werden. Das wäre nicht nur inhaltlich fatal, sondern würde unweigerlich zu Konflikten mit den Trägern dieser Einrichtungen, den Kirchen, Wohlfahrts- und Jugendverbänden führen. Schon jetzt kursiert bei einigen Projekten die Angst, der ohnehin nur nieselnde Geldregen werde bei Rot-Grün noch tröpfelnder fallen als zu Zeiten der Finkschen Selbsthilfeideologie. Und einige ganz Pfiffige fragen jetzt schon an, ob ihre Finanzforderungen mehr Chancen hätten, wenn öfter mal das Wort „Mädchenarbeit“ in den Anträgen auftauchen würde.
Die Angst, die Frauen könnten den großen Kuchen künftig unter sich aufteilen, grassiert teilweise auch unter Mitarbeitern der Senatsverwaltung selbst. Daß die neue Chefin als erstes ein Antidiskriminierungsgesetz schaffen will und von Frauenförderplänen im öffentlichen Dienst spricht, kommentieren etliche Bedienstete mit bösen Sprüchen. Wenn in erster Linie Frauen eingestellt und befördert werden sollen, das haben die männlichen Mitarbeiter der Verwaltung durchaus begriffen, dann werden auch sie bald benachteiligt sein - weil sie nicht mehr bevorzugt sind.
Vera Gaserow
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