: Bemerkenswerte Leistung-betr.: Zur Entwicklung der Grünen
betr.: Zur Entwicklung der Grünen
Ich möchte gerne einige Anmerkungen machen zu einer bemerkenswerten Leistung, die die Grünen mit ihren Parteitagen in Karlsruhe und Duisburg vollbracht haben: Die Partei hat ihr Bad Godesberg hinter sich gebracht, und fast keineR hat's gemerkt. Auf dem Bad Godesberger Parteitag ist ja bekanntlich die SPD Volkspartei geworden, hat Abschied genommen von der Arbeiterklasse als historischem Subjekt, vom Sozialismus als real zu erreichendem Ziel, von ihrer Gegnerschaft zur Westintegration der BRD und Remilitarisierung. Aber immerhin: sie hat dies in ein Programm geschrieben und sie hat einen Parteitag dazu veranstaltet.
Anders die Grünen. Sie haben faktisch den Schritt zu einer parlamentarischen Reformpartei vollzogen. Deshalb möchten auch Josef Fischer und Hubert Kleinert die Realo -Gruppe gerne auflösen, da sie als Fraktion unnötig geworden ist. Programmatisch wollte die große Mehrheit der Delegierten (und vielleicht der Partei) diesen Schritt nicht gehen, sich nicht eingestehen, was sie da faktisch beschlossen haben und praktizieren. Deswegen wurde auch selten auf einem grünen Parteitag soviel schöngeredet wie in Duisburg: fast kein Beitrag, der nicht von dem „Aushalten des Spannungsverhältnisses zwischen kleinen, realen Schritten und der notwendigen Systemüberwindung“, von „Spagat“, von „Reformpolitik in fundamentaler Absicht“ geredet hätte. Und fast keiner, in dem gesagt wurde, wohin sich die Spannung immer auflöst, ob ausgehalten oder nicht: in die Zustimmung zum System, in die kleinen Schritte.
Am geschicktesten war Christian Ströbele. Er brachte es nicht nur fertig, den Delegierten jubelnde Zustimmung abzuringen dazu, daß die AL in Berlin von der SPD ganz und gar über den Tisch gezogen wurde, dort trotzdem mitregieren will und im günstigsten Falle erreichen wird, daß die Sozen ihr eigenes Programm wenigstens in Teilen verwirklichen. Er bekam es auch hin, das Ganze als „Jahrhundertchance“ und „Modell für die Bundestagswahl 1990“ zu verkaufen und zugleich die Delegierten der Bundespartei davon zu überzeugen, daß es für sie - als VertreterInnen der Bundespartei! - nicht opportun sei, eben darüber zu diskutieren. Hinterher war er, wie er in einem Interview sagte, selber verwundert, daß die Delegierten sich so leicht zur Diskussionsabstinenz hinbiegen ließen.
Folgerichtig dann, daß Ober-Realo Udo Knapp mit seiner Forderung nach Fortschreibung des Programms in einer sich ändernden Partei nur Pfiffe erntete. Er erntete Pfiffe, weil dies noch nicht konsensfähig ist: pure Reformpolitik programmatisch festzuschreiben und praktisch durchzuführen. Im Programm sollen noch die systemoppositionellen Forderungen drinbleiben. Aber das läuft darauf hinaus: das Programm wird unwichtig, es bleibt rein, eine Reliquie für den Ikonenschrein, „es bleibt in der Schublade liegen und verstaubt“ (Trampert).
Die praktizierte Politik, die allein zählt, ist aber ganz anders. Da ist für wirkliche Opposition, die die Änderung der Logik des Systems zum Inhalt hat, kein Platz mehr; kein Platz mehr für ein Nein, das in so vielen Bereichen angezeigt wäre, das massenhaft ausgesprochen, die einzig wirksame und aufrechte Haltung ist. Darüber kann auch die Zusammensetzung des neuen Bundesvorstandes nicht hinwegtäuschen. Gewiß sind da einige Linke und Feministinnen drin. Entscheidend ist aber, was dieser BuVo unter dem Strich für eine Politik machen wird. Das wird natürlich eben die sein, die auch die Bundestagsfraktion macht: Reformpolitik, mitregieren wollen, da eine Reparatur, dort ein Pflästerchen, aber ja nicht die parlamentarische Reputierlichkeit in Frage stellen.
Wenn einem in diesem Zusammenhang etwas Respekt abnötigt, dann mal wieder das, wie schnell und vollständig es dieser Kapitalismus schafft, oppositionelle Bewegungen wie die Grünen zu vereinnahmen und zu integrieren - und neuerdings so perfekt, daß das sogar hinter dem Rücken von denjenigen geschieht, die diese Politik vollziehen.
Heinz Deininger, Delegierter des KV Heilbronn, Löwenstein -Hößlinsülz
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