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DIE MASKE DES WÜSTLINGS

■ Das „Theater im Wasserturm“ zeigt „Sade im zweiten Turm der Freiheit“

Umstritten ist der Marquis de Sade auch heute noch. So wird er bisweilen als Apologet einer verderbten Aristokratie, die ihre ruchlose Machtgier noch im Sexuellen ausleben mußte, gesehen, zum anderen geehrt - „den göttlichen“ nannten ihn die Surrealisten gar - als Befreier der Phantasie von jeder moralischen Schranke. Die Urfassung seines Doppelromans von Justine und Juliette, den Schwestern, die beispielhaft das „Unglück der Tugend“ und die „Wonnen des Lasters“ erleben, ist weniger von Foltervisionen geprägt als von der delikaten seelischen Grausamkeit de Sades, seiner brillanten Widerlegung sowohl der Christenmoral wie auch des neuen vom Rousseauschen Ideal des natürlich guten Menschen bestimmten Zeitgeistes, und von seiner Darstellung der vom bösen, sexuellen Trieb beherrschten Menschennatur. Schon dieses Werk war auf Wunsch des mit Pornographie - nicht mit Philosophie - Gewinn suchenden Verlegers „gewürzt“. Umso mehr dürften die späteren, erweiterten Ausgaben des Werkes vom Gewinnstreben bestimmt sein, in denen de Sade die nun souverän beherrschte Gewaltphantasie zu Orgien der Menschenvernichtung auflaufen läßt. Und da ist der Mensch de Sade, der zunächst nur experimentell die Lust an der Qual untersucht, das schwarze Schaf seiner Standesgenossen, büßt in der Bastille dafür, daß er bekannt werden ließ, was jene nur im Geheimen taten, und dann der Befreite, nun Funktionär der Französischen Revolution, der bis hin zur Selbstgefährdung Menschen vor dem Terror bewahrte.

Den Menschen de Sade zeigt das Stück „Sade im Turm der Freiheit“. Unter dem neugotischen Gewölbe des Wasserturms scheint man ihm in seiner Zelle zu begegnen: dem Schlaflosen, dem Verzweifelten, der auf Königsbefehl auf unbestimmte Dauer inhaftiert, im zehnten oder elften Jahre die vergangenen Tage zählt, in Zahlenspielen und unbedeutenden Details Zeichen einer nahen Begnadigung zu erkennen sucht. Man sieht einen Aufbrausenden gegen Bewacher und die Verantwortlichen für seine Haft, den Schriftsteller, der sich mit der Gewalt seiner Phantasie über sein klägliches Schicksal erhebt. In die Einsamkeit seines Kerkers dringen seine Phantasmen, der Bastille-Sturm, den er mit Rufen anfeuert, die Revolution, gegen deren Erlahmen er aufbegehrt.

Mit viel Gespür für das Theater ist das Stück von Gustav Rössler und Bernhard Wolf konzipiert worden, von letzterem wurde es in eine flüssige, in ihren Elementen sichere und stimmige Inszenierung übersetzt. Matthias Holz gibt dem de Sade wahrhaften Ausdruck und findet in den Darstellern der anderen, teils parodistisch konzipierten Rollen, die gebotene Ergänzung.

Ein formal gelungenes Stück. Aber was will es? De Sades gewaltsame Phantasie aus der Gewalt der ihm grundlos angetanen Haft erklären? Diese erklärte den Haß manch eines Gefangenen, de Sades sein Leben durchziehendes Interesse am bösen Triebe gerade nicht.

Daß man nur wenig von der Gedanken- und Vorstellungswelt erfährt, sei einem Stück, das eine Person in den Mittelpunkt stellt, unbenommen. Aber von de Sades Philosophie erfahren wir nur eine Sequenz, in der sie sich dazu versteigt, den Kannibalismus aus der Natur zu rechtfertigen. Als Beispiel seiner perversen Phantasie wird eine unsägliche Vision von der qualvollen, stückweisen Ermordung einer Frau gegeben. Sicher hat das de Sade geschrieben, wenn auch nicht in der Bastille, sondern in der späteren, noch besser „gewürzten“ „Nouvelle Justine“.

Natürlich kommt es bei solch einem Stück nicht auf die genaue Dokumentation der behandelten Person an, vielmehr auf ihre Interpretation. Dieser aber scheint es weniger um ein Verständnis de Sades zu gehen, als darum, mit einem „gut gewürzten“ Stück in unseren sexistischen Zeiten leichten Erfolg zu erringen. Ja, das ganze hat ja auch mit der Jubiläum feiernden Französischen Revolution zu tun. Damit wir's nicht vergessen, bekommen wir kleine Trikoloren in die Hand. „Revolutionen“ steht darauf, „werden von Wüstlingen gemacht“, Erfolge hoffentlich nicht von in der Maske des Wüstlings sich bergenden Schwächlingen.

glagla

Das „Theater im Wasserturm“ zeigt „Sade im zweiten Turm der Freiheit“ vom 31.3. bis 2.4., 20 Uhr im Wasserturm, Kopischstr. 7, 1/61.

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