: En vogue-betr.: "Die CDU braucht Mut für radikale Veränderungen", taz vom 15.3.89
betr.: „Die CDU braucht Mut für radikale Veränderungen“, taz vom 15.3.89
Wenn sich ein Philosoph wie Rohrmoser handfest zum aktuellen Geschehen auf den politischen Bühnen äußert, so läßt das aufhorchen. Doch Auswechslung von Kohl durch Weizsäcker und Biedenkopf hin oder her: Dem Zeitungsleser fällt auf, daß sich nicht nur in der BRD, sondern auch in Österreich, Frankreich, Israel starke Kräfte regen, die den Öffnungen gegenüber transnationalen oder multikulturellen Erweiterungen des Althergebrachten die Eigenheit, den Nationalismus, die Selbstbestimmung propagieren. Unter welchem Firmenschild auch immer - es ist en vogue. Die Gemeinsamkeiten dieser Pendelungen sind also gefragt. Es scheint, als ob die Renaissance, Reformation oder auch nur die Modernisierung Teile dieser Bevölkerung in eine Identitätskrise treiben. Kein Wunder, denn High Tech ist mehr als nur Name, braucht immer offensichtlicher Reflexionen, um nachhinkende Gesellschaftsprozesse und -formen zur Entwicklung zu bringen.
Die CDU „ist zu einer politisch charakterlosen Partei der Anpassung und Antizipation an Trends verkommen, an deren Zustandekommen sie geistig nicht beteiligt war“, resümmiert Rohrmoser. Späth versucht es oft ohne CDU, um mithalten zu können. Aber genügen ein paar wenige Dynamiker?
Die Bonner Klimakommission, von allen Parteien bestückt, weist ein Phänomen auf, das Prof.Bach/Münster in Ulm knapp umschrieb: „Alle ohne Ausnahme sind sich in Diagnose und Therapie einig.“ Offenbar setzt uns diese Entwicklung, der wir alle zwischen Grönland und Australien ausgesetzt sind, instand, statt über rechts oder links zu fallen, wieder oben und unten dazuzusehen und gemeinsam an die Sacharbeit zu gehen.
Nach wie vor hat Wirtschaft nicht allein mit Kupfer, Zink, Energie und Kapital zu tun, sondern mit Menschen und ihrer Seele. Ist sie verloren, wie es 'Le Monde‘ von der CDU feststellt, dann verliert alles sein Gesicht - die Tyrannen, Kanzler, Präsidenten, der Mensch ohne Arbeit, Wohnung und Nahrung. Kommen wir aber im politischen, industriellen, ökologischen Bereich mit allem Denken in den kleinen Hohlraum der Achse des Koordinatenkreuzes, so treffen wir nach Laotse auf den eigentlichen Ort des Lebensrades.
Die Erde erlebt den Notfall. Vor allem aus dem Raum zwischen rechts und links, der beide Seiten polar verbindet und das Oben und Unten im Bewußtsein hat, setzen sich die individuellen und gesellschaftlichen Kräfte vor Ort in Trab, um die Energie- und Stoffströme bedarfsgerecht neu zu gestalten. Den Besonnenen in allen Fraktionen und Ländern geht es um reflektierte Antizipation an Trends, um Entwicklungsschritte nach menschlichem Maß: im rhythmischen Ausgleich der Seiten und Höhen. Totalitarismus entsteht in den Ecken, ist und bewirkt Verschleiß und Zerstörung. 1989 verlangt nach neuer Aufklärung!
Gisela Canal, Ulm
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