: „Nuclear Machismo“
■ Unterschiedliche Reaktionsmuster von Männern und Frauen auf die lebensbedrohlichen Situation am 28.März 1979 führten in Harrisburg zu einer neuen Wortschöpfung
Der Begriff „Nuclear Machismo“ soll besondere Verhaltensweisen von Männern in der Situation der atomaren Bedrohung, in lebensgefährlichen Situationen also, beschreiben. In der kritischen Phase im April 1979 äußerte sich dieser Machismo darin, daß sich Männer zunächst um ihre beruflichen Pflichten und danach um ihre Familien kümmerten. Ärzte waren zuerst für die Gesundheit ihrer Patienten da, dann für die Strahlengefährdung ihrer Familien. Auch Dr.Michael Gluck, Internist und Aktivist von „Three Mile Island Alert“, gab seinen Patienten den Vorzug. Die schwangere Ehefrau und den einjährigen Sohn - sie wohnten in Sichtweite des Reaktors - überließ er sich selbst. Frau Gluck reiste Hals über Kopf ab, nachdem sie von der Möglichkeit einer Explosion des Reaktors gehört hatte. Nach Dienstschluß kam Dr. Gluck nach. Als erster seiner Familie kehrte er nach Harrisburg zurück.
Obwohl Männer in der Regel mehr über die Risiken der Technologien wissen, die sie herstellen oder bedienen, können sie offensichtlich keine Gefühle entwickeln, die ihnen Gefahren signalisieren. Aber es gab auch Ausnahmen. An der Hershey-Universitätsklinik hatten 80 Prozent der ÄrztInnen die Klinik bereits verlassen, als sich dort schwangere Frauen einfanden, weil ihnen über Radio die Klinik als Schutzraum vor einem möglichen Fallout genannt worden war.
In vielen Partnerschaften haben die aufeinanderstoßende „unsachliche Emotionalität“ der Frauen und die „gefühllose Sachlichkeit“ der Männer zu Beziehungsproblemen geführt.
Unter den AktivistInnen des „TMI Alert“ sind Beziehungen daran zerbrochen, daß die Männer zum Alltag der Vorzeit zurückkehren, die Frauen den Kampf gegen die Atomenergie aber nicht aufgeben wollten. Ihre Angst wollen sie nicht als Irrationalität wegreden lassen. Selbst in Partnerschaften, in denen beide, wie die Krebsforscher Marjorie und Norman Aamodt, mit großer Leidenschaft für die Veröffentlichung unterdrückter Informationen und gegen ihre Denunzierung kämpfen, hatte ich den Eindruck, daß die Frau maßgeblich war und der Mann ihr den aktiveren Teil bereitwillig zugestand.
Heute kämpfen in Harrisburg fast nur noch Frauen gegen die Atomenergie. Zum Teil sind sehr traditionelle Vorstellungen von Mütterlichkeit und Weiblichkeit ihr Motiv. Eine aktive Katholikin begründet ihr Engagement damit, daß die Atomgefahren die Männer daran hindern, ihre sorgende Funktion für Frau und Kinder wahrzunehmen.
G.A.
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