Polens Betonköpfe melden sich zurück

Polnische Literaturzeitung druckt einen heftigen Angriff auf die Reformpolitik der Parteiführung / 'Polityka‘ wehrt sich / Partei nimmt die Kritik nicht auf die leichte Schulter: Die Forderung nach einem außerordentlichen Parteitag findet nicht nur bei den Rechten Resonanz  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

„Ich hatte den Eindruck, eine Adaption des Textes von Nina Andrejewa vor mir zu haben“, schrieb der Chefkommentator der Warschauer Parteiwochenzeitung 'Polityka‘, Daniel Passent, in einem scharfen Kommentar. Die Leningrader Dozentin Andrejewa hatte im Herbst letzten Jahres in einer sowjetischen Zeitung Parteichef Gorbatschows Reformpolitik den Kampf angesagt. Was die 'Polityka‘ nun als Attacke auf die Reformpolitik der Warschauer Führung wertet, stammt von Stanislaw Kociolek und erschien nicht zufällig in der Krakauer Literaturzeitung 'Zycie Literackie‘ (Literarisches Leben). Kociolek, in den siebziger und achtziger Jahren Vizepremier und Mitglied des Politbüros der PVAP, war während der Gdansker Krise 1970 dort Gewerkschaftssekretär.

Bis zu seiner Versetzung als Botschafter nach Belgien und in die UdSSR bildete er zusammen mit Olszowski und Siwak die Betonfraktion der Partei. Nun meldete er sich wieder zu Wort. Kociolek, das mußte auch Passent zugestehen, ist seinen Ansichten treu geblieben. In der Wirtschaftsreform sieht er vor allem „eine Ausbreitung kapitalistischer Elemente“ und als Folge das Verschwinden der Ideale der Gleichheit und Gerechtigkeit, für die Kommunisten einzutreten hätten. Er befürwortet eine Stärkung der staatseigenen Großbetriebe, die er zu „Lokomotiven der Reform machen“ will. In der innerparteilichen Diskussion um Demokratie und Pluralismus sieht Kociolek eine „Gefährdung der Werte, die die Revolution des Volkes, die organisierte Arbeiterbewegung, nach dem Krieg in das Leben unseres Volkes eingeführt hat“. Diese Werte würden „systematisch diskreditiert“, greift er die Geschichtsdiskussion in der Presse an. Unter dem Einfluß der Führung gebe die Partei selbst ihre führende Rolle auf, anders sei die Debatte um Senat, Verfassungsreform und Präsidentenamt nicht zu verstehen. Statt des Dialogs mit den „Solidarnosc -Extremisten“ befürwortete Kociolek ein Bündnis mit „allen prosozialistischen Kräften“. Die Perestroika schließlich sei wohl gut für die Sowjetunion, Polen jedoch könne sich aufgrund seiner Wirtschaftslage solche Experimente nicht erlauben.

Kociolek brauchte nicht lange auf eine Erwiderung zu warten. Von der 'Polityka‘ mußte er sich fragen lassen, wo er denn jene „eindeutig prosozialistischen Kräfte“ finden wolle, mit denen er ein Bündnis schließen wolle, wenn diese Kräfte gerade aufgrund auch der Fehler von Kocioleks Genossen am Verschwinden seien. Die Tatsache, daß außer der 'Polityka‘ auch der stellvertretende Chefredakteur der Ideologiezeitschrift der PVAP, Ludwig Krasucki, auf Kociolek antwortete, deutet daraufhin, daß die Partei den Angriff nicht auf die leichte Schulter nimmt. Davon zeugen auch zahlreiche, meist vertrauliche Äußerungen hoher Parteifunktionäre am Runden Tisch und gegenüberJournalisten.

Anders als vielfach angenommen, meint ein Parteifunktionär, komme der Widerstand gegen die Veränderung nicht aus dem Parteiapparat und der Bürokratie, sondern von einem drohenden Bündnis jener mit der Schwerindustrie verbundenen Parteilobby mit den unzufriedenen offiziellen Gewerkschaften. Während erstere die Wirtschaftsreform fürchten müssen, droht den Gewerkschaften vor allem durch die Zulassung von Solidarnosc die politische Bedeutungslosigkeit. Nicht zufällig beruft sich Kociolek, der längst keine Parteiämter mehr innehat, auf Äußerungen von Alfred Miodowicz, dem Chef der offiziellen Gewerkschaften OPZZ, wenn er von den Großbetrieben als „Reformlokomotiven“ spricht.

Daß die OPZZ die Parteilinie hintertreiben, hat sich nicht nur durch ihre Unterstützung für die wilden Streiks während der letzten Wochen gezeigt, sondern auch dadurch, daß sie in ihrer Reaktion auf das letzte ZK-Plenum „jede Verantwortung für diese nicht mehr mit der Arbeiterklasse vereinbarte Änderung“ ablehnten. In diesem Kontext gewinnt Kocioleks Aufsatz weit mehr Bedeutung als nur die Unmutsäußerung eines Ewiggestrigen - zumal er die Einberufung einer gemeinsamen Sitzung von ZK und Sejmfraktion sowie die Einberufung eines außerordentlichen Parteitags fordert.

Auch Genossen, die mit Kociolek nicht übereinstimmen, sind der Ansicht, daß die im Rahmen der letzten ZK-Sitzung vereinbarten Veränderungen über das hinausgehen, was einem Zentralkomitee an Kompetenzen zusteht. Kocioleks Forderung, so weitgehende Schritte dürfe nur ein Parteitag vornehmen, kommt der Parteiführung aber äußerst ungelegen. So wäre bei einem Parteitag gerade von der stärksten Delegation, der aus Schlesien, der meiste Widerstand zu erwarten.

Für die Parteiführung und vor allem auch für die Reformer in der Partei tut sich so eine Zwickmühle auf. „Angesichts der kommenden Wahlen wird die Partei nicht darum herumkommen, sich innerparteilich zu demokratisieren“, meint ein Parteifunktionär. Doch allzu leicht könnte sich diese Demokratisierung gegen die Reformlinie auswirken. „Wir können nicht ausschließen, daß einige der von der Führung aufgestellten Kandidaten bei den Wahlen im Sommer gegen die von der Basis aufgestellten populistischen Reformgegner verlieren werden.“

Ähnliches hatte es bereits 1981 gegeben, doch damals gab es wenigstens eine starke Reformbewegung von unten. Heute jedoch wird die Reform und die „Sozialdemokratisierung der Partei“, wie es ein Funktionär nennt, von oben nach unten durchgesetzt. Da könnte sich die Umkehr des „demokratischen Zentralismus“ leicht gegen die Reformer auswirken. Und diese Befürchtung kommt den Anhängern Kocioleks sehr gelegen. Kommentator Passent in der 'Polityka‘: „Wer weiß, ob ein Teil der Streiks nicht deshalb organisiert wird, um zu verhindern, daß sich die Reformbewegung in der Partei durchsetzt und es zu einer Verständigung mit Solidarnosc kommt, um damit zu beweisen, das Reformen und Reformer nur in den Untergang führen.“