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„Lieber Trauer tragen“

■ Verteidiger im Schackow-Prozeß rügen die Anklageschrift und stellen einen neuen Befangenheitsantrag

Im Korruptionsprozeß gegen den ehemaligen CDU -Finanzstaatssekretär Günter Schackow verlas die Staatsanwaltschaft gestern vor der 14.Strafkammer des Landgerichts die Anklageschrift. Mit der Rüge „eines fehlerhaft formulierten Anklagesatzes“ stellte die Verteidigung einen Befangenheitsantrag gegen Berufsrichter und Schöffen. Die Anklage stelle nicht klar, so die Verteidigung, daß es sich hier um Anschuldigungen handele. Sie sei vielmehr über Seiten hinweg im „klassischen Urteilsstil“ abgefaßt.

Dadurch sei die Unvoreingenommenheit der Schöffen beeinträchtigt, argumentierte Rechtsanwalt Jungfer. Im übrigen würden Gesetze verletzt, wenn Berufsrichter es hinnehmen, daß eine fehlerhafte Anklageschrift verlesen werde. Jungfer kritisierte insbesondere ein „abschätziges Lächeln“ des Staatsanwalts beim Verlesen seines Antrags. „Wenn hier im diesem Haus Anklagen ständig nicht nach den vorgeschriebenen Regeln abgefaßt werden“, so Jungfer, zeige das eine bestimmte Geisteshaltung. „Da sollten Sie nicht lächeln, sondern lieber Trauer tragen“, wandte er sich an den Staatsanwalt. Jungfer erwähnte auch eine wegen fehlerhafter Formalien gerade ergangene dritte Aufhebung eines Urteils des Landgerichts durch den Bundesgerichtshof. Er meinte damit den längsten Prozeß der bundesdeutschen Justizgeschichte um den Fememord an dem Studenten Ulrich Schmücker.

Nach halbstündiger Beratung erklärten sich Berufsrichter und Schöffen für „nicht befangen“. Jetzt wird eine andere Kammer über den Antrag zu entscheiden haben. Außer Schackow wird Untreue und Bestechlichkeit auch den beiden ehemaligen Geschäftsführern der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“, Adolf Blasek und Gerd Benger, vorgeworfen. Schackow soll als „Gönner und Förderer“ des verurteilten Münchener Baubetreuers Bernd Bertram von dessen unberechtigten Provisionen von mehreren Millionen Mark gewußt haben. Für sein Schweigen als Vorsitzender im Aufsichtsrat der „Stadt und Land“ soll Schackow Ende 1983 23 Millionen österreichische Schillinge gefordert haben. Erhalten haben soll er über Bertram ein Nutzungsrecht für ein Ferienhaus in Österreich sowie Schmuck aus Antwerpen. Blasek soll als Mitwisser von Bertrams Geschäftspraxis 260.000 Mark für sein Schweigen erhalten haben. Die Staatsanwälte hatten für die Verlesung der Anklageschrift 45 Minuten gebraucht. Der über einen Monat dauernde Prozeß wird am kommenden Freitag fortgesetzt.

dpa

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