: GNADENGESUCH FÜR AIDSKRANKE - EIN EXEMPLARISCHER „FALL“?
Es geht hier um ein Gnadengesuch für einen langjährig Drogenabhängigen, der die Anrechnung seiner (abgebrochenen) Therapiezeit von fünf Monaten auf seine Knaststrafe beantragte. Der Gefangene ist seit drei Jahren an Aids erkrankt (erste Beschwerden traten 1986 auf), hat infolgedessen nur noch ein paar Jahre zu leben und ist in schwere Depressionen verfallen.
Wir dokumentieren hier das Schreiben des gnadenbeauftragten Richters und Auszüge aus der Antwort des Arbeitskreises der Gefangenenhilfe darauf.
Sehr geehrter Herr R.
Nachdem ich Ihre Angaben geprüft habe, muß ich Ihr Gnadengesuch aufgrund der Ermächtigung des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen ablehnen.
Gegen Sie sind so viele Strafverfahren gemäß §154 eingestellt worden, daß Gnade auch noch in dieser Sache nicht angebracht ist.
Verurteilte können auch dann nicht vom Vollzug freigestellt werden, wenn sie an einer zum Tode führenden Krankheit leiden, ausgenommen die letzten Wochen vor dem Tod. Für sie stehen die justizeigenen Krankenhäuser zur Verfügung. Hochachtungsvoll
N., Richter am LG als Gnadenbeauftragter
(...) Mit völligem Unverständnis haben wir zur Kenntnis genommen, daß „Verurteilte ... auch dann nicht vom Vollzug freigestellt werden (können), wenn sie an einer zum Tode führenden Krankheit leiden, ausgenommen die letzten Wochen vor dem Tod. Für sie stehen die justizeigenen Krankenhäuser zur Verfügung.“
Es ist nicht nur der Inhalt, der uns zunächst sprachlos machte; hier ist es auch die Form der Mitteilung. Sie legt uns die empörte Frage nahe, wie es möglich ist, daß bei der Abfassung solcher Bescheide jedes Einfühlungsvermögen in die hilflose Lage des Adressaten und erst recht jede Vorstellung von einer menschenwürdigen Vorbereitung auf den Tod so völlig verlorengehen können. Wir müssen daraus die Schlußfolgerung ziehen, daß einem der staatstragenden Organe in Deutschland die seelische Verfassung bedrohlich erkrankter Menschen in Gefängnissen gleichgültig ist. Betroffen von „einer zum Tode führenden Krankheit“, muß der Empfänger eines solchen Bescheides den Hinweis auf „justizeigene Krankenhäuser“ eher als Zynismus empfinden denn als ein Hilfsangebot, das auf selbstverständliche humane Bedürfnisse in dieser letzten Phase seines Lebens eingeht.
Die JVA Willich hat offenbar ähnlich wie wir empfunden: Nach einem uns vorliegenden Schreiben des Herrn R. vom 19.1.89 hielt sie bisher den Bescheid zurück - wohl aus Taktgefühl und berechtigter Sorge vor Kurzschlußhandlungen des Betroffenen.
Ihr oben genannter Bescheid steht nicht in Einklang mit den Hilfs- und Aufklärungsbemühungen der Bundes- und Landesregierung über die Lage des Aidsinfizierten, und bisher erfolgte kaum eine Anregung, die Lage der Aidsinfizierten in Haftanstalten öffentlich zu diskutieren. (...)
Arbeitskreis Gefangenenhilfe Bochum e.V.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen