„Die Komamethode ist eine Gewalt ohne Gesicht“

■ Knut Folkerts, im Hochsicherheitstrakt der JVA Celle inhaftierter Angehöriger der RAF, beschreibt in einem Brief Intention und Konsequenzen der mit Hilfe der Intensivmedizin „künstlich verlängerten Agonie am Rande des Todes“ während seines Hungerstreiks Anfang 1985 / „Es gibt keine Gewalt mehr, sondern nur noch medizinische Maßnahmen“

im letzten hungerstreik 85 fiel ich nach 56 tagen ins koma. koma, das ist nicht einfach bewusstlosigkeit, sondern beginn des sterbeprozesses - lebenswichtige organe, der ganze organismus brechen schockartig zusammen und fangen an abzusterben.

darauf hatten sie gewartet und sich vorbereitet. zuerst im hochsicherheitstrakt und anschliessend in der medizinischen hochschule hannover, wo sie eine intensivstation als isolierabteilung eingerichtet hatten.

das kalkül: mit intensivmedizinischen massnahmen greifen sie in den sterbeprozess ein und holen mich - wenn's gelingt - wieder knapp vor die schwelle, um mir übers koma und eine quälend verlängerte agonie am rande des todes nach der wiederbelebung meinen willen und meine selbstbestimmung auszulöschen.

sie wollen die situation umkehren und mir meine entscheidung nehmen. wenn ich den streik fortsetze, d.h. die nichtbehandlung durchsetze, bedeutet das: wieder koma und noch mal die ganze tortur. „ping-pong“ nannten sie das. das ganze wird dann öffentlich als aufwendige lebensrettung verkauft. sterbe ich dabei, soll's heissen: alles wurde getan... (dabei gehen sie davon aus, dass schon vor dem koma organe irreversibel geschädigt sind.)

als ich dort aufwachte, war ich wegen nervenschäden und muskelschwund anfangs völlig bewegungsunfähig, ich konnte mich nicht mal mehr zur seite drehen oder meinen kopf heben. aus dem schock versuchte ich zu mir zu kommen und mich zu orientieren. ich hing da an einem dutzend infusionsgeräten und sensoren, verschlaucht und verkabelt. selbst die einfachsten körperfunktionen (wie z.b. pissen) gehen nicht mehr ohne medizinische hilfe. in einer situation, in der ich nur noch flüstern konnte und schon normale stimmen schmerzen, lief da volles programm: ständig kommen und gehen ärzte und pflegerinnen, türschlagen, alarm von geräten, wachwechsel der bullenarmee..., tag und nacht ununterbrochen. schlagartig mit dutzenden unbekannter konfrontiert zu sein ist schon aus der jahrelangen isolierung mit trakt extreme anspannung. nach acht wochen härtester konfrontation, grade aus dem koma und am rand, wo mir physisch und psychisch alle reserven weggebrannt sind, ist das in der wirkung aggressivster stress und überflutung. wenn ich versuche, mir jemand einzuprägen und zu verarbeiten, was jemand auf mich einredete, kam schon der nächste, und ich vergass das vorherige wieder. die ganzen gehirnfunktionen, wahrnehmen und denken, laufen ständig hinterher und werden immer wieder zerrissen. durch den schlafentzug und die isolation (selbst die fenster waren undurchsichtig) verlor ich jedes zeitgefühl. der blick auf die wanduhr verstörte mich jedes mal, weil die uhrzeit nicht mit meiner selbstwahrnehmung übereinstimmte. das verunsichert sehr, weil ich daran merkte, dass ich nicht ständig bei mir bin und mir stunden fehlen. ich versuchte einen eigenen rhythmus zu finden - ausruhen und dann konzentrieren. aber in dem permanenten ausnahmezustand gab es keinen moment der ruhe.

unmittelbar vor der tür patrouillierte ein pulk traktwärter aus celle, davor alle paar meter grenzschützer in op -klamotten mit mps. eine demonstration totaler verfügungsgewalt über dich. die ganze umlagerung bis hin zur kontrolle deines herzschlags verdichten sich zu einem gefühl äusserster wehrlosigkeit und bedrohung. es schlägt auf dein bewusstsein, um das du gerade kämpfst.

irgendwann konnte ich wirklichkeit und sinnestäuschung nicht mehr unterscheiden, was ich hörte und sah - drohungen und schemen im halbdunkel der beobachtungsscheiben; ich wusste nicht mehr, ob es realität oder halluzination war. das einfachste: aufstehen und gucken, konnte ich ja nicht. es ist ein konzentrierter angriff auf dein denken und deine identität. hier wird auch scharf eine funktion der isolierung deutlich; weshalb sie in so einem zustand totale kontaktsperre zu menschen machen, denen man vertraut und die einem helfen könnten, die eigene wahrnehmung wieder in den griff zu kriegen. wenn man weiss, das ist halluzination, kann man es handhaben. aber wenn man gar nichts mehr unterscheiden kann und sich deine wahrnehmungsfähigkeit auflöst - das ist der versuch von gehirnwäsche, die für die politisch verantwortlichen den vorteil hat, dass sie alles hinter dem schlechten gesundheitszustand und den medizinischen massnahmen verstecken können.

jahrelang hatten sie uns auf zwangsernährung gesetzt holger und sigurd haben sie dabei umgebracht. hunderte mal wurde diese tortur exekutiert, um die streiks zu brechen. immer wieder kam es dabei zu lebensgefährlichen situationen, wenn sie - neben ausgeschlagenen zähnen - das zeug mit gewalt in die luftröhre und lunge pressten. trotzdem war es noch anders. körperlich - man konnte trotz der fesselung, dem würgen usw. noch widerstand leisten, auch wenn man die zwangsernährung nicht verhindern konnte. und man war bei vollem bewusstsein.

mit der komamethode haben sie die auseinandersetzung grundsätzlich in den grenzbereich zwischen leben und tod verlagert. die zwangsernährung war direkte physische gewalt, die den willen brechen sollte. die komamethode steigert die brutalität. sie warten, bis man halbtod ist, und setzen dann ihre intensivmedizin ein. in der maximalen auszehrung von körper und geist wirst du dann, bewegungsunfähig, total isoliert und zugleich reizattacken ausgesetzt, was in dir implodiert und nichts mehr von dir, von dem, was du willst und wofür du kämpfst, übrig lassen soll. wie die „weisse“ folter durch isolation ist die komamethode eine gewalt ohne gesicht.

ihr ziel ist dein selbstverlust, du sollst dich als objekt ihrer bestimmung unterwerfen, leben nur zu ihren toten bedingungen oder verrecken. da wir uns von ihrer gewalt schon lange nicht mehr abschrecken lassen und wir für unsere kollektiven ziele konsequent kämpfen, wollen sie diese tatsache mit der methode auslöschen, weil es diese korrupte und verkommene klasse und ihr politisches personal selbst in dieser spur politisch und moralisch herausfordert. weil sie unten grundsätzlich resignation und ohnmacht als einzige möglichkeit behaupten müssen, um ihr irrationales profitsystem grenzenloser zerstörung aufrechtzuerhalten.

unser kampf für gesellschaftliche verhältnisse ohne ausbeutung, herrschaft und unterdrückung hat selbst in dieser reduktion und äussersten defensive der gefangenschaft und trennung die spur, weil wir von den eigenen menschlichen interessen ausgehen und sie kollektiv gegen die zerstörung von jedem sozialen sinn und leben durch das system durchkämpfen. so zeigt sich in dieser konfrontation, trotz und gerade wegen der absoluten unverhältnismässigkeit, die substanz: menschen gegen maschine. an uns selbst, an unserem kollektiven bewusstsein wird die ganze macht machtlos.

durch unseren kampf die ganzen jahre in den isolationslöchern (und lange nur mit wenigen draussen neben unseren angehörigen und anwälten) haben wir die vernichtungshaft öffentlich bewusst gemacht. gegen die repressionswalze auf jede solidarität, gegen die medienmacht mit ihren propagandamauern, die isolation als „privileg“ und zwangsernährung als „humanitären akt“ behauptete.

mit dem streik 81 hatten wir die zwangsernährung als folter denunziert. sie wurde kontraproduktiv. als die propagandistische deckung einriss, stiess die zwangsernährung auch bei den ärzten auf widerspruch, die sie vorher ohne probleme mit ihrem „ärztlichen ethos“ exekutiert hatten. der berliner anstaltsarzt leschhorn, der 81 von anfang an die zwangsernährung verweigerte, wurde in den selbstmord getrieben. trozt hoher geldangebote fanden sie nicht mehr genügend. der öffentliche widerspruch sprengte ihre einheit, so wuchs ihr interesse an einer neuen und „sauberen“ methode.

selbstverständlich wurde keine sekunde darauf verschwendet, die ursache des hungerstreiks zu beseitigen - die vernichtenden haftbedingungen. die herrschenden wollen freiwillig auf dieses mittel gegen revolutionäre umwälzung nicht verzichten - so strategisch aussichtslos es auch ist. es gehört schon zur staatsräson, denn nach ihrer selbsteinschätzung „würde sich der staat selbst aufgeben“, werden die politischen gefangenen zusammengelegt. was einem militär-regime wie in chile möglich ist - jetzt die zusammenlegung von 60 politischen gefangenen aus bewaffneten gruppen in einem gefängnis, wird von den herrschenden dieser nato-demokratie und führungsmacht brd als politische selbstaufgabe begriffen. so schwach schätzen wir unseren feind nicht ein. ihre aussage verrät aber etwas von der porösen inneren substanz dieses staates.

auf einem symposium, vom scheringkonzern 81 veranstaltet, mit richtern und staatsanwälten, journalisten und ärzten, senats- und konzernvertretern, wurde der methodenwechsel von der zwangsernährung zur komalösung verbreitet, als neue linie von den berliner kammerrichtern nöldeke und weichbrodt in juristenblättern formuliert, was dann zu der gesetzesänderung 85 führte.

plötzlich tönten alle, die zuvor noch zwangsernährung als wohltat gepriesen hatten, dass nun der „freie wille respektiert“ würde und es „keine zwangsmassnahmen“ mehr gäbe - das neue cover nach draussen. drinnen erlebten wir rollkommandos bis in die 8.hungerstreikwoche (zwangswiegen und zwangsvorführung vor mhh-ärzte (gemeint sind die Ärzte der Medizinischen Hochschule Hannover, d.Red.)). exakt nach der von nöldeke und weichbrodt vorgegebenen linie, den widerstand „durch die anwendung von gewalt auf die probe zu stellen“. wer sich unterwirft, soll „gerettet werden, während nur derjenige, der exzessiven widerstand leistet, in todesgefahr gerät“. rollkommandos und schlafentzug durch nächtliche „visiten“ bringen einen natürlich schneller an den rand, und dann lauern die, bis man ins koma fällt. währenddessen sorgen sie durch nachrichtensperre und desinformation dafür, dass die medienöffentlichkeit von ihnen bestimmt bleibt.

die zwangsernährung war eine aktive handlung, direkte gewalt, auch wenn das meiste vom rollkommando übernommen wurde, der arzt stiess den schlauch in den hals...

jetzt wird das unkenntlich gemacht, als rettungsmassnahme verkleidet, gibt es keine gewalt mehr, sondern nur medizinische massnahmen. aber so wenig es bei der zwangsernährung um ernährung ging, geht es bei der „intensivbehandlung“ um lebensrettung.

die verwissenschaftlichung ihrer methoden ist auch ausdruck der politischen feigheit der herrschenden. die vernichtungsabsicht soll nicht als solche erscheinen.

die verschiebung auf die medizinische ebene soll den konflikt entpolitisieren und von seiner wirklichen grundlage und lösung verlagern. dies ist nur möglich mit der hilfe von ärzten. teils durch druck auf staatlich-verpflichtete oder mit medizintechnokraten, die ihr „ärztliches ethos“, ihre verpflichtung zur lebensrettung vorschützen, und für alles andere seien sie nicht verantwortlich.

so wurde auch jahrelang die zwangsernährung begründet, bis wir ihnen diese tarnung wegzogen und die öffentlich geächtet war.

dieser „ärztliche ethos“ richtet sich nicht gegen jahrzehntelange isolationshaft, nicht gegen die funktionalisierung medizinischer fähigkeiten, um den widerstand isolierter gefangener gegen vernichtende bedingungen zu brechen.

die angebliche ärztliche „neutralität“ zeigte sich eindeutig, als sie in der mhh die kontaktsperre mit dem vorwand „medizinischer gründe“ deckten, da die politisch verantwortlichen eine offizielle nicht wagten, die grosse politische und praktische folgen gebracht hätte. das war die beseitigung des letzten minimalen schutzes und die auslieferung in die totale verfügungsgewalt des staates. kontaktsperre ist ausschliesslich staatsschutzinteresse, das den „angriff auf den staat“ - wie sie den hs (Hungerstreik, d.Red.) begreifen und bekämpfen - mit allen mitteln niederschlagen will.

hier in celle haben sie jetzt eine „intensivstation“ im traktlazarett eingerichtet, wo die „behandlung im koma“ (justizminister remmers) diesmal laufen soll. der trakt als integrierte vernichtungsmaschine. der ganze aufwand mit dem transport 85 in die mhh hatte nicht die beabsichtigte wirkung - die 1.100 bullen und grenzschützer, die panzerwagen und hubschrauber um einen halbtoten gefangenen offenbahrten mehr als es verdecken konnte und provozierte widersprüche und proteste.

aber egal wo, es geht darum, ihnen dieses mittel wie das gesamte isolationsprojekt aus der hand zu schlagen.

aus der ganzen konfrontation der 18 jahre kampf gegen vernichtungshaft ist es jetzt da angekommen, wo es nach ihrer logik ankommen musste - nach wasserentzug und zwangsernährung ist die komamethode das letzte - und damit ist jetzt auch schluss.

alles hatte das eine ziel: unsere revolutionäre identität und unseren widerstand zu brechen. aber auch mit allem sind sie letztlich gescheitert.

es wird ihnen auch nicht gelingen, uns übers koma davon abzubringen. es wird keine komalösung geben. die einzige lösung ist die zusammenlegung. jetzt.

wir werden auch in dieser Situation unsere selbstbestimmung wieder erobern und den kampf fortführen. das bedeutet, sie werden uns entweder zusammenlegen oder umbringen.

breiter gesellschaftlicher widerstand, die kämpfende bewegung mit den politischen gefangenen und internationaler solidarität können der entscheidende faktor werden, der in der herrschenden vernichtungslogik nicht eingeplant ist, um zusammen die kraft zu entwickeln, die situation jetzt dialektisch umzukehren und die isolationshaft in allen varianten mit der durchsetzung der zusammenlegung, der freilassung der haftunfähigen, der freien politischen kommunikation zwischen drinnen und draussen zu überwinden und darüber auch neue bedingungen für alle zu schaffen, die um einen neuen sozialen sinn und gesellschaftlichen aufbruch von unten gegen oben kämpfen.

knut folkerts, märz 1989, hochsicherheitstrakt celle