: „Wer politisch arbeitet, braucht keinen Computer“
Kontroverse über die Teilnahme der Bundestagsfraktion der Grünen am ISDN-Projekt „Parlakom“ wieder voll entbrannt / Die neue Kommunikationstechnologie: Nur ein besserer Kugelschreiber oder Instrument der Totalerfassung? / Moratorium soll Klärung bringen / Im Mai Debatte über das Technikverständis der Grünen ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski
Das billige Fundi-Realo-Schema hilft nicht weiter; überraschende Konstellationen tun sich im Konflikt auf: Als Befürworter rückt Ober-Realo Otto Schily neben Michael Weiss, der den Fundis nahesteht, und der Schily-Mitarbeiter und Realo-Wortführer Udo Knapp ist überraschend mit dem Bundestagsabgeordneten Ulrich Briefs in der harschen Ablehnung einig. Für den Fraktionsmitarbeiter Winfried Damm geht es nur um „einen besseren Kugelschreiber“, für den Fraktionsbetriebsrat Wolfram Grüber um „Verrat“. „Kann ein grüner Grundsatzbeschluß für zwei Millionen Mark gekauft werden?“ fragt er besorgt.
Der verwirrende Frontenverlauf ist symptomatisch für eine mit unterschiedlicher Interessenlage geführte Kontroverse über die Teilnahme der Grünen an dem elektronischen Parlamentsnetz „Parlakom“. Der Beobachter ist versucht, an ein trojanisches Pferd zu denken, das unverhofft auf den Fluren der Grünen aufgetaucht ist und seit Wochen die Emotionen in der Fraktion aufrührt. Begonnen hatte der Streit Anfang März, als die bereits deutlich reduzierte Fraktion zu später Stunde der Teilnahme zustimmte. Danach ging es rund: Das postwendende Veto des Betriebsrats und eine flugs einberufene Betriebsversammlung, die Schily verbieten lassen wollte, erzwang eine weitere Fraktionssitzung. Nach Chaos und Geschrei entzogen sich die Befürworter der weiteren Debatte durch die Notbremse einer festgestellten Beschlußunfähigkeit. Nach weiteren Protesten und mehreren fraktionsinternen Verhandlungen retteten sich die Abgeordneten auf einer dritten Fraktionssitzung kurz vor der Osterpause erst einmal ins Moratorium: Mit der formellen Zustimmung zum Versuch, so die stille Hoffnung, hält man sich alle Türen offen und kann die kommenden drei Monate zu Gesprächen nutzen. Und möglicherweise steigt die Fraktion dann wieder aus.
Was nun zu einem derben Streit geraten ist, war vor drei Jahren völlig unproblematisch: Als 1986 im Bundestag ein erster „Parlakom„-Modellversuch mit 50 Abgeordneten anlaufen sollte, lehnten die Grünen dies sofort ab. Daß dies heute nicht mehr der Fall ist, „Parlakom“ sich vielmehr zu einem unfreiwilligen Grundsatzdiskurs über grüne Politik auswächst, ist das Politikum. Der Streit signalisiert die Konstituierung eines Verwaltungsapparats, in dem die MitarbeiterInnen vor allem Angestellte sind - obschon mit politischen Ansprüchen -, die ihre Arbeitsplatzinteressen verteidigen müssen. Er zeugt zugleich von einer entstandenen Ambivalenz zwischen den in den Alltag eingedrungenen technischen Hilfsmitteln und der exponierten politischen Position der Nutzer. Markiert sich hier gar ausdrücklicher, daß die Grünen eine normale Partei geworden sind, als alle jüngst zugefallene Regierungsreputierlichkeit?
Als 1986 auf Betreiben der Post die ersten Parlamentarier mit der schönen neuen Welt der elektronischen Kommunikationstechnologie ausgestattet wurden mit Personal Computer, Bildschirmen, Vernetzung mit den Wahlkreisbüros und Zugang zu Datenbanken, verweigerten sich die Grünen mit Hinweis auf die brisante digitale ISDN-Technik. Dieser solle mit Hilfe der Abgeordneten gesellschaftliche Akzeptanz verschafft werden. Unverändert warnen die Grünen in Broschüren auch jetzt noch vor der Unbeherrschbarkeit der neuen Technologie mit der Möglichkeit der zentralen Kontrolle und Überwachung.
In den letzten Jahren aber hat sich offenkundig die Stimmung im Umgang mit dem Kollegen Computer verändert. Eine Urabstimmung unter den mehr als 200 MitarbeiterInnen der Fraktion erbrachte im November eine Mehrheit für die Einführung von Personal Computern, auch wenn der Betriebsrat immer noch murrend auf den knappen Ausgang verweist. Die Fraktion stellte daraufhin für das laufende Haushaltsjahr 200.000 Mark bereit. Doch angesichts einer regen Nachfrage ist dieser Betrag unzureichend. „Parlakom“ wird dadurch ein verlockendes Angebot. Denn nun sollen in einer zweiten Stufe 150 Abgeordnete verdrahtet werden; davon 12 Grüne kostenfrei natürlich. Auf runde zwei Millionen Mark würde sich die Ausstattung mit Geräten für das Bonner Büro und die heimischen Wahlkreisbüros in den nächsten zwei Jahren summieren.
Der Betriebsrat argumentiert bei seiner Ablehnung der „Parlakom„-Teilnahme sowohl mit den Arbeitsbedingungen als auch mit den gesellschaftlichen Gefahren. Für Wolfram Grüber wie auch für den Datenschutzbeauftragten der Fraktion, Roland Appel, ist ISDN ein „qualitativer Sprung“ bei der totalen Erfassung. Damit werde die „Protokollierung aller Aktivitäten möglich“, sorgt sich Grüber. Besonders problematisch sei die obligatorische Zustimmung zur Einrichtung einer sogenannten OTC-Box, die als elektronischer Briefkasten eine besonders leichte Überwachung und Kopierung eingehender Nachrichten von dritter Seite ermögliche. Für die MitarbeiterInnen der Fraktion fürchtet er außerdem eine Arbeitsverdichtung und Leistungskontrolle sowie verstärkte „Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse“. In der Fraktion gäbe es schließlich „als mittlerer Betrieb nicht nur selbstbestimmte Arbeitsplätze“.
Grüber versteht den „Hoffnungsglauben“ der befürwortenden Abgeordneten nicht, die in der „Parlakom„-Einführung eine Arbeitsverbesserung sieht. „Wer politisch arbeitet, braucht keinen Computer“, davon ist auch der Bundestagsabgeordnete und Technologieexperte Ulrich Briefs überzeugt. Das seien Geräte „von Assistenten für Assistenten“, spöttelt er. Briefs vermutet hinter dem Drang einiger Abgeordneter gar den Wunsch nach einem Statussymbol. Auch das versteckte Bedürfnis, endlich ein „richtiger“ Abgeordneter zu sein, wird von Fraktionären im Gespräch genannt.
Der ehemalige EDV-Unternehmensberater Winfried Damm weist auf die Doppelzüngigkeit der Partei hin: Überall stünden in den Kreisbüros und der Bundeszentrale die Bildschirme herum, nur die Fraktion solle das „letzte Naturschutzgebiet“ bleiben. Das Unbehagen daran, daß die im Rampenlicht stehende Bundestagsfraktion im Zustand der Unschuld bleiben müsse, während die Grünen-Wähler ihre täglichen kleinen faulen Kompromisse und Sündenfälle begehen, ist auch an anderer Stelle in der Fraktion zu spüren.
Natürlich sei er gegen das ISDN-System und fordere seine Verbesserung, betont Damm. Die Grünen aber müßten sich entscheiden, ob sie „einen Laufboten mit Siegelbrief“ als Ideal anstrebten oder „Benutzer moderner Kommunikationstechnologien“ sein wollten. Die Sorgen des Datenschutzbeauftragten wegen ISDN hält er für unsinnig: „Auch Briefe können geöffnet und Telefone abgehört werden.“ Die „Janusköpfigkeit“ der Technik zeige sich beispielsweise darin, daß vernetzte Computersysteme auch zur Verabredung von Blockadeaktionen genutzt werden könnten.
Die Ablehnungsfront läßt dies nicht gelten. Mit ISDN sei eine „Totalerfassung“ mit weit geringerem Aufwand als bisher möglich, sagt Wolfram Grüber. Er verweist auf die „politische Verantwortung“ der Grünen, die verbiete, sich „als Bandenwerbung für Nixdorf und Siemens“ mißbrauchen zu lassen.
Annäherung ist derzeit nicht festzustellen, und wie das Moratorium genutzt wird, bleibt abzuwarten. Im Mai soll es eine Fraktionsdiskussion über das Technikverständis der Grünen in der Fraktion geben. Falls es dazu komme, habe „sich das Moratorium gelohnt“, sagt Winfried Damm, der „brutalst verhärtete Fronten“ beklagt. Ausgelotet werden kann dann auch ein bisher nicht diskutierter Kompromißvorschlag der Abgeordneten Christa Nickels: eine Gesetzesinitiative, welche den Bundestagsfraktionen Gelder für elektronische Betriebsmittel sichert, aber ihnen selbst überläßt, was für ein System sie damit aufbauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen