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Beste Tarnung: Eine junge Frau sein

■ Ein neuer Roman über Charlotte Corday, die den französischen Revolutionshelden Marat ermordete

Am Samstag, den 13. Juli, stieg eine weibliche Person mit einem getüpfelten Hauskleid, mit einem hohen Hut und einem Fächer aus einem Mietwagen und verlangte den Bürger Marat. Auf die Hilfeschreie Marats eilten verschiedene Leute herbei, aber es war zu spät. Ein großes neues Messer lag auf dem Brett über der Badewanne.“ So weit einige Einzelheiten, die ein Angestellter Marats über dessen Ermordung mitteilte.

Die Mörderin mit Hut und Fächer ist Charlotte Corday d'Armont, die 24jährige Tochter eines verarmten Landadligen und ehemalige Klosterschülerin aus Caen in der Normandie, am 9. Juli 1793 alleine mit einer Kutsche nach Paris gereist, in der festen Absicht, ihn, den „Volksfreund“, zu ermorden.

Oder doch nicht... „Wann hatte sie sich entschlossen, Marat zu töten? In Paris? Schon in Caen? Immer schon? Oder als sie ihn vor sich sah, fast nackt, in seiner Wanne?“ Die diese Fragen stellt, ist Sibylle Knauss. Vorsichtig, ohne zu erklären und ohne zu urteilen, erzählt sie die Geschichte der Corday. In einem Geflecht aus Gedankenspielen, Träumen, authentischen Ereignissen, Gesprächs- und Brieffetzen, in denen die Zukunft die Gegenwart immer schon längst überholt hat. Ihre Antworten bringen das Mögliche zur Sprache, lassen immer durchschimmern: Vielleicht ist es so gewesen, es könnte aber auch anders gewesen sein.

Sibylle Knauss‘ Geschichte der Corday beginnt da, wo sie bereits zu Ende ist: in der Todeszelle, wenige Minuten vor der öffentlichen Hinrichtung der „Vatermörderin“ auf dem Schafott. „Wenn ich ein Mann wäre, hätte ich gelernt wie man tötet“, sagte Charlotte Corday, die eigentlich Marie heißt. Aber Charlotte paßt besser zu einer Mörderin, sagt sie zu dem Maler. Dieser hatte bereits im Gerichtssaal, fasziniert von ihrer unerschütterlichen Ruhe, begonnen, sie zu malen, und war ihr, ermuntert durch einen Blick, in die Zelle gefolgt. Sie will, daß er sein Bild zu Ende malt. Ein Bild, das sie so zeigt, wie sie wirklich ist. Sie ist die Mörderin Marats. Von nun an braucht sie sich nicht mehr zu verstellen. Ein Bild als Geschenk für ihren Vater, als Ersatz sozusagen für einen mißratenen, erklärenden Brief an ihn: „Verzeihen Sie, mein lieber Papa, daß ich ohne Ihre Erlaubnis über mein Dasein verfügt habe. Ich habe vielen anderen unglücklichen Ereignissen vorgebeugt, wenn sich dem Volk erst die Augen öffnen, wird es froh sein, von einem Tyrannen befreit zu sein.“

Das klingt nach messianischem Eifer, nach der festen Überzeugung, mit diesem einen Mord das Leben vieler retten zu können. „Wenn ich ein Mann wäre...“, läßt Sibylle Knauss ihre Romanheldin oft sagen. Doch sie ist eine Frau, noch dazu eine unverheiratete, und so bleibt ihr nur das, was für ein unverheiratetes junges Mädchen ihres Standes vorgesehen war: ein wenig Handarbeit, Hilfe bei der Ernte, ein wenig Hausarbeit im Haus einer reichen Tante. Wie konnte sie sich erdreisten, alleine in die Hauptstadt zu fahren, ohne männlichen Beschützer? Eine Tochter aus gutem Hause, noch dazu in ihrem Alter. Nach der Unschicklichkeit ihres Verhaltens befragt, antwortet Charlotte Corday dem Richter: „Wenn man will, was ich wollte, wenn man so etwas vorhat, kümmert man sich nicht um Etikette und Anstand.“ Sie will einzig und allein ihrer eigenen Eingebung gefolgt sein. „Niemand hat meine Pläne gekannt.“

Doch das Gericht ist überzeugt davon, daß sie nur im Auftrag einer Verschwörung gehandelt haben kann. Sie sei vorgeschickt worden von den Girondisten, deren Anführer, von den Jakobinern aus dem Nationalkonvent vertrieben, nach Caen geflohen waren. In Sibylle Knauss‘ Roman faßt Charlotte Corday ihren Plan, nach Paris zu reisen, alleine. Sie packt ihre Sachen in dem Moment, wo die Abgeordneten der Gironde von Caen aus einen bewaffneten Aufstand zur Rettung des Nationalkonvents planen. „Werde ich es tun oder nicht? Ich werde es tun, dachte sie. Sie wußte immer noch nicht, was es war. Aber sie wußte, daß sie es tun würde.“

Noch als sie in der Kutsche nach Paris sitzt, handelt sie wie im Traum. Charlotte Corday an der Spitze eines Freiwilligenheers zur Rettung der Nation, so sieht sie sich im Traum. Sibylle Knauss läßt Charlotte Corday in diesem Moment etwas rührend Naives anhaften: „Aber sie zog in den Sieg. Denn so fand sie die Sicherheit ihres Aufbruchs wieder, indem sie daran dachte, daß sie ja an der Spitze eines unsichtbaren Heeres hinzog. In einer geheimen Kommandosache war sie ja unterwegs.“

Bis zu dem Moment, wo sie Marat mit einem zuvor für diesen Zweck gekauften Küchenmesser ermordet, könnte alles auch ein Tagtraum sein. Was sie sagt und tut, ist ein Netz von leicht dahin gesagten Andeutungen, die sich jedoch immer mehr verdichten. „Sie urteilen über mich, ohne mich wirklich zu kennen, aber Sie werden mich kennenlernen“, sagt sie oft, wenn sie spürt, daß sie für die gehalten wird, die sie zu sein scheint: die schöne Naive vom Lande. Auf ihrem Weg zu Marat bedient sie sich ein letztes Mal der „besten Tarnung, die es für eine Operation wie ihre gab“: Frau zu sein, jung zu sein, schön zu sein. Als sie getan hat, was niemand von ihr erwartet hatte, bleibt sie ganz ruhig in ihrer Kutsche sitzen und wartet auf ihre Festnahme. Ihre Mission ist erfüllt. „Die Tat ist vollbracht, das Ungeheuer tot“, ruft sie. Woher nimmt sie diese Gelassenheit und Unerschrockenheit? Woher die Überzeugung, daß der Tod Marats die Rettung bedeutet? All die ungeklärten Fragen, das Rätselhafte, das ihre Person umgibt, lassen sie zu einem Mythos werden. Sie wird zur Inkarnation des Bösen in Gestalt sanfter Weiblichkeit stilisiert, zu einem weiblichen Ungeheuer. Weil es eine Frau war, die das Ungeheuerliche getan hat, werden die republikanischen Frauenklubs verboten. Revolutionärinnen wie Rose Lacombe und Theroigne de Mericourt beeilen sich, sich von Charlotte Corday zu distanzieren. So bleibt sie bis zum Schluß alleine, isoliert, aber in der festen Überzeugung, getan zu haben, was sie tun mußte. Die Augenblicke vor ihrer Hinrichtung sind wie viele andere Momente in diesem Roman sehr ästhetisch, fast schön. Als der Scharfrichter kommt, entreißt ihm Charlotte die Schere, schneidet ihre Locken eigenhändig ab und reicht sie dem Maler: „Ich möchte Ihnen danken, vergessen Sie mich nicht.“

Birgit Schönberger

Sibylle Knauss: Charlotte Corday. Roman. Hoffmann und Campe, 1988, 286 Seiten, 32 Mark

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