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Heißer Frauenfunk in kalten Zeiten

Die „Zeitpunkte“, Frauensendung des Senders Freies Berlin, wird zehn Jahre alt / Einmalig in Europa: Täglich eine Stunde Sendezeit von Frauen für Frauen / Aber das Kind des „Radiofrühlings“ ist nach erneuten Programmreformen mitten im Winter  ■  Von Gunhild Schöller

„Wir sind keine Nische, sondern ein Powerforum!“ Von Anfang an war Claudia Strauven als Journalistin bei den Zeitpunkten dabei, der Frauensendung des SFB, die am kommenden Montag ihr zehnjähriges Jubiläum feiert. Von der Breiten- und Tiefenwirkung „ihrer“ Sendung ist sie fest überzeugt. Auf eine Diskussion, ob der Frauenfunk eine „Nische“ sei, in der fortschrittliche, Journalistinnen freies Spiel haben und damit andere Sendungen vor feministischem Zugriff verschont bleiben, will sie sich nicht einlassen. „Ich kann von hier aus meine Power verbreiten und inspirierend auf Kolleginnen und Kollegen in den anderen Sendungen wirken“, stellt sie mit großer Entschiedenheit fest.

„Mit einer Nische verbindet man ja auch immer was Kleines, wir sind aber nicht klein“, argumentiert Magdalena (Medi) Kemper, seit ebenfalls zehn Jahren als Redakteurin mitverantwortlich für den großen Erfolg der Sendung. Tatsächlich sind die Zeitpunkte als Frauensendung einmalig in Europa. Fünfmal wöchentlich eine Stunde beste Sendezeit (zwischen 10 und 11 Uhr morgens) und zweimal ein je halbstündiges Feature - so viel und regelmäßige Berichterstattung für Frauen von Frauen hat kein anderer Sender zu bieten. Ungewöhnlich weiblich-anarchistisch auch die Struktur und Organisation der Redaktion: Es gibt keine einsame Chefin an der Spitze, sondern ein Team von Journalistinnen und Redakteurinnen, die alle wesentlichen Entscheidungen gemeinsam diskutieren. Die Redakteurinnen sind abwechselnd für die Sendung verantwortlich. Außerdem genießen die Zeitpunkte-Macherinnen das Privileg, die Musik ihrer Sendung selbst zu bestimmen - in anderen Sendungen wird die Musik von einer Musikredaktion eingespeist. In den anderen Funkhäusern der ARD wurde der Frauenfunk entweder abgeschafft oder auf ein Minimum reduziert (eine halbe Stunde wöchentlich, von einer einzelnen Redakteurin verantwortet).

Damals, im Frühling 1979 begannen Frauen, ein neues Kapitel Journalismus zu schreiben - bzw. zu senden. Mit dem Blick und der Erfahrung von Frauen interviewten sie Politiker, kommentierten aktuelle Ereignisse und ließen mit ihrem Mikrophon endlich die betroffenen Frauen zu Wort kommen. „Betroffenenjournalismus“ war damals der große Hit, den heute - nicht nur bei den Zeitpunkten - niemand mehr so recht hören mag. Aber damals war das brandneu: Wenn es wieder mal nicht genügend Kita-Plätze gab, sollten zuerst ausführlich die Mütter zu Wort kommen und erst danach, etwas kürzer, die verantwortliche PolitikerIn. Wenn es um Schulprobleme ging, brachte die Journalistin zum Interview mit dem Schulsenator nicht nur den Kassettenrekorder und ihre kritische Intelligenz mit, sondern auch praktische Erfahrung - sie hatte selbst Kinder im schulpflichtigen Alter.

Am Anfang war Betroffenheit

„Am Anfang hatten wir auch einen großen Nachholbedarf - über Themen, die vorher überhaupt nicht berücksichtigt wurden, konnten wir nun endlich berichten“, erzählt Medi Kemper aus den ersten Jahren der Zeitpunkte. Sie meint damit die Themen der Frauenbewegung und Frauenszene. „Damals wurde ja auch dauernd was Neues eröffnet“, lacht sie den bewegteren Zeiten hinterher. Und es galt, diese Errungenschaften der Frauenbewegung gegen die Angriffe der Verstockten und Ewiggestrigen zu verteidigen. „Damals hatten wir uns ja mit Vorurteilen auseinanderzusetzen, die heute keiner mehr auszusprechen wagt. Zum Beispiel bei der Diskussion um die Frauenhäuser, daß die Frauen schließlich selbst schuld seien, wenn sie vergewaltigt würden.“

Die Zeiten haben sich verändert, heute gibt man(n) sich aufgeklärt - hat sich deshalb die Sendung geändert? „Wir berücksichtigen jetzt auch mehr die 'etablierte Politik‘, z.B. betrachten wir Parteitage mit unserem feministischem Blick“, sagt Medi Kemper. „Diese Entwicklung hängt jedoch auch damit zusammen, daß mittlerweile sogar der letzte Politiker kapiert hat, daß Frauen ein großes Thema sind.“ Aber die Macherinnen der Zeitpunkte wollen immer beides: beachten, was von Frauen kommt und die etablierte Politik unter feministischem Blickwinkel analysieren.

Ein „Kind des Radiofrühlings“ seien die Zeitpunkte verkündet der SFB stolz zum zehnjährigen Jubiläum. „Radiofrühling“ - damit ist eine Hörfunkreform Ende der siebziger Jahre gemeint, in deren Verlauf neue, progressiv orientierte Sendungen im SFB entstanden. Wenn im „Radiofrühling“ die Zeitpunkte das Licht der Medienwelt erblickten - welche Zeit haben wir jetzt? Claudia Strauven und Medi Kemper halten beklommen den Atem an. „Die Medienlandschaft hat sich radikal verändert“, beginnt Medi Kemper vorsichtig. Gefragt sei heute die „leichte Welle“ mit viel Musik und hohen Einschaltquoten. „Ich möchte aber nicht für eine Sendung arbeiten, wo mein Wort und mein journalistischer Beitrag nur noch lästige Unterbrechung ist.“ Schließlich entscheidet sie sich für die Jahreszeit „Spätherbst“.

„Wir sind mitten im Winter“, Claudia Strauven ist direkt. Dieser „Winter“ begann für die Zeitpunkte 1987, als die Sendung im Rahmen einer erneuten Programmreform“ von der populären Welle SFB 2 auf den ersten Kanal verschoben wurde. Die gute Sendezeit blieb, aber das Publikum änderte sich: Während auf SFB 2 aktuelle Magazinsendungen ein breites Publikum erreichen, wendet sich die Programmfarbe“ von SFB 1 vor allem an ältere Menschen. „Die Leute, die uns hören wollen, müssen jetzt speziell für uns umschalten“, sagt Claudia Strauven. Damit senden die Zeitpunkte nur noch für eine bereits weitgehend überzeugte Gemeinde. Für eine noch immer relativ große Gemeinde zwar, aber die HörerInnen, die zufällig die Sendung hören und mit Ärger, Begeisterung oder Nachdenklichkeit reagieren, erreichen sie nun nicht mehr.

Keine Resignation, sondern Wut

Zehn Jahre lang täglich ein Programm für Frauen machen wird frau da nicht müde? Werden die Themen, die sich regelmäßig wiederholen, nicht allmählich langweilig? „Manchmal ist es nicht möglich, sich mit der gleichen Verve immer wieder auf das gleiche Thema zu stürzen, wie wir das am Anfang getan haben“, gibt Medi Kemper zu. „Aber es überwiegt der Ärger und die Wut darüber, wie wenig sich in all den Jahren verändert hat. Deshalb müssen wir ja immer und immer wieder das gleiche sagen. Wer z.B. hätte denn in den siebziger Jahren geglaubt, daß wir in der Auseinandersetzung um den Paragraphen 218 sogar noch hinter den Stand der sechziger Jahre zurückgeworfen werden?“ Auch bei Claudia Strauven ist von Resignation keine Spur. „Meine Position hat sich während der zehn Jahre, die ich hier arbeite, radikalisiert. Ja, es ist immer das gleiche Elend, manchmal ist es sogar noch schlimmer geworden - z.B. die Gewalt gegen Frauen. Heute sag‘ ich: Das Männerhaus muß her! Da sollen all die prügelnden Männer rein, damit die Frauen wieder zurück können in ihre Wohnung. Diese Position hätte ich vor zehn Jahren so nicht formuliert. Ich bin nicht resigniert, sondern meine Wut hat sich gesteigert.“

Die Jubiläumsausgabe der Zeitpunkte, in der mit Interviews, Studiogesprächen, Glossen und Collagen eine heiter-kritische Bilanz gezogen wird, geht am Montag, 3. April auf Sendung. Von 10.05 Uhr bis 12 Uhr auf SFB 1, 88,8 MHz

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