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In Serbien wird gefeiert - im Kosovo droht Bürgerkrieg

Offizielle Meldungen sprechen von 21 Toten nach blutigen Auseinandersetzungen in der südjugoslawischen Provinz Kosovo / In ganz Serbien wird das Ende der Autonomie der albanischen Minderheit im Kosovo gefeiert / In nördlichen Republiken bislang eine Million Unterschriften für die Selbstbestimmung der Albaner  ■  Aus Wien Roland Hofwiler

Während die Unruhen in der südjugoslawischen Provinz Kosovo bis gestern mindestens 21 Menschenleben gefordert haben, ungesicherten Meldungen zufolge soll die Zahl der Toten um ein Vielfaches höher sein - feiert die Serbische Staats- und Parteiführung in Belgrad die De-fakto-Eingliederung der bislang autonomen Provinz. Die „jahrzehntelange Schmach, die das Territorium Serbien als staatliche Einheit zersplitterte“, sei mit der am Dienstag in Kraft getretenen Verfassungsänderung beendet, proklamierte der serbische Parlamentspräsident in einer offiziellen Feierstunde in Belgrad. Während in ganz Serbien die Beschneidung der albanischen Selbstbestimmungsrechte frenetisch bejubelt wird, stellt sich das Innenministerium auf „nordirische Zustände“ ein. Bürgerkriegsähnliche Konflikte sind nach den blutigen Auseinandersetzungen der letzten Tage in der Tat realistisch.

Jugoslawien ist ein föderativer Vielvölkerstaat mit sechs Republiken und zwei Provinzen, der Vojwodina, dem Siedlungsgebiet der ungarischen Minderheit, und dem Kososvo, wo Albaner 80 Prozent der Bevölkerung stellen. Die prekäre Balance des jugoslawischen Staatsgebildes beruht im wesentlichen auf der Entschärfung der latenten Nationalitätenkonflikte. Die Vision des jugoslawischen Staatsgründers Tito, die ethnischen Konflikte würden in einer kommunistischen Gesellschaft aufgehoben, blieb in der Praxis immer labil und droht heute unter dem entfesselten großserbischen Machtanspruch endgültig zu scheitern.

Mit dem seit Dienstag verfassungsrechtlich verbindlichen Herrschaftsanspruch Serbiens über die Kosovo-Provinz verlieren die dort lebenden Albaner die seit 1974 im Autonomiestatut festgelegten Selbstbestimmungsrechte. Justizwesen, Innenverwaltung, Gesetzgebung und Bildungswesen werden fortan von Serbien aus gesteuert. Albanisch wird als offizielle Sprache abgeschafft.

Daß Serbien entschlossen ist, diesen Machtzuwachs auch mit militärischen Mitteln zu verteidigen, haben die letzten Tage deutlich gemacht. Daran läßt auch die serbische Presse keinen Zweifel. Dem Parteiblatt 'Jedinstvo‘ zufolge haben „fanatische Albaner“, die sich mit der „gerechten Verfassungsänderung“ nicht zufrieden geben wollen, dem Land „nun einen Bürgerkrieg“ erklärt.

Während sich angesichts des nationalistischen Taumels in Serbien niemand mit Gegenpositionen an die Öffentlichkeit wagt, wächst die Kritik an der serbischen Unterdrückungspolitik in den nördlichen Republiken des Landes. Dort haben bereits über eine Million Bürger eine Petition unterschrieben, in der gefordert wird, die Minderheitenrechte der Albaner im Kosovo zu respektieren. Dahinter steckt die Angst, unter dem Druck einer serbischen Vormachtstellung im Gesamtstaat könnten sowohl die Demokratisierungstendenzen wie die ökonomische Westorientierung der nördlichen Republiken zunichte gemacht werden.

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