: „Vergewaltigungen als tägliches Brot“
■ Interview mit dem Staatsanwalt Hans-Henning Hoff, der fünf Jahre lang als Sonderdezernent der Staatsanwaltschaft bei allen angezeigten Bremer Vergewaltigungen ermittelte und übermorgen seinen Job wechselt
Hans-Henning Hoff hat heute seinen letzten Arbeitstag - als erster bundesrepublikanischer Staatsanwalt mit „Sonderzuständigkeit für sexuelle Gewaltdelikte“. Zum 1. April wechselt er als Nachfolger von Erhard Hoffmann auf den Posten des Gefängnisdirektors von Oslebshausen. Seine Nachfolgerin wird eine Frau.
taz: Warum haben Sie damals, am 1.1.1984, das neue Amt des Sonderdezernenten übernommen?
Hans-Henning Hoff: Ich habe vorher Jugendschutz bearbeitet, Sachen, wo Erwachsene Straftaten gegenüber Kindern und Jugendlichen begehen, insbesondere im Sexualbereich, und hatte festgestellt, daß die Opferseite wesentlich zu kurz kommt. Ich bin dann 1981 in die Arbeitsgruppe „Institutioneller Umgang mit Vergewaltigungsopfern“ reingegangen. Mein Ziel war die bessere Behandlung von Vergewaltigungsopfern im Justizbereich. Als 1983 die Sonderzuständigkeit überlegt wurde, war zwar die Forderung, daß eine Frau mit dem Dezernat betraut wurde, damals bestanden aber sowohl beim Senator als auch beim Generalstaatsanwalt Bedenken, daß eine Frau regelmäßig von den Verteidigern für „befangen“ erklärt wird. Da ich mich mit der Materie befaßt hatte, war es ein logischer Schluß, daß man mich mit der Aufgabe betraut hat.
Fünf Jahre Sonderdezernat - hat das in Bremen etwas verändert?
Zum einen hat sich die Qualität der Ermittlungsarbeit verändert. Die ist viel intensiver geworden, das hat die Zusammenarbeit mit der Kripo und der Polizei schon erbracht. Zweitens hat sich der Umgang der Beamten mit den Opfern erheblich verändert. Das Bewußtsein ist doch inzwischen verbreitet, daß Frauen, die Vergewaltigungen anzeigen, erstens in der Regel die Wahrheit sagen und zweitens Opfer einer schlimmen Tat geworden sind. Auch bei Gericht ist eine deutliche Veränderung sichtbar. Es wurden wesentlich mehr Anklagen erhoben (in 60 statt früher in nur 37 Prozent aller Fälle), und durch die größere Anzahl der Fälle wurde deutlich, daß eben die meisten Frauen doch die Wahrheit sagen. Was sich auch darin dokumentiert, daß
in über 90 Prozent der angeklagten Fälle eine Verurteilung ergangen ist.
Dennoch: Verteidiger und Richter stehen noch immer auf seiten der Täter...
Ich will es mal so ausdrücken: Bis sich im Bewußtsein der Menschen entscheidend was verändert, das dauert. Ein Beispiel dazu: Vor kurzem habe ich mit Männern diskutiert, die sich Gedanken über das Gewaltpotential von Männern machen. Da fiel der Ausspruch: „Mit dem Satz 'Jeder Mensch ist ein potentieller Mörder‘ kann ich mich identifizeren. Aber den Satz 'Jeder Mann ist ein potentieller Vergewaltiger‘ lehne ich ab.“ Dies macht deutlich, wieviel Schwierigkeiten Männer haben, sich klar zu machen, daß auch sie in der Sexualität gewalttätig werden könnten gegenüber einer Frau.
Identifizieren Sie sich mit den Tätern?
Mir ist durchaus des öfteren in Gesprächen mit Beschuldigten aufgefallen, daß mir manche Verhaltensweise bekannt vorkommt. Zum Beispiel ist es mir durchaus nicht fremd, aus meiner eigenen Biographie her, erstmal Frauen nicht als gleichberechtigte Wesen zu sehen.
Haben sich Ihre Vorstellungen über die Tat in den fünf Jahren verändert?
Ich habe 1984, als ich anfing, nicht das Bewußtsein gehabt, wie die Tat wirklich ist - Vergewaltigung. Das habe ich im Lauf der fünf Jahre gelernt auch durch die Arbeit mit den Frauen in der Arbeitsgruppe. Die Erfahrung dieser totalen Ohnmachtssituation, fast immer gepaart mit einer Todesangst
-was das auslöst für das Leben eines Menschen, ist mir vorher nicht so klar gewesen, weil ich ja solche Erfahrungen nie gemacht habe, auch nicht ansatzweise. Ich denke, daß viele Männer enorme Schwierigkeiten haben, nachzuvollziehen, was es bedeutet, einem anderen Menschen derart ausgeliefert zu sein, daß der einen penetrieren kann, wo er will, und man keine Chance mehr hat, irgendetwas dagegen zu setzen.
Ich habe mich schon oft gefragt, wie schafft der Hoff das, sich tagtäglich mit solch einem Thema zu
befassen?
Da will ich Ihnen ganz offen sagen: Der Hoff hat das zunehmend schlechter gekonnt. Wenn man soviel Erfahrungen gesammelt hat wie ich in diesen fünf Jahren, weiß man im voraus schon, wie bestimmte Situationen sich entwickeln werden. Was an Belastungen im Prozeß auf die Frau zukommen werden. Was gefragt wird. Wieviel Unverständnis ihr entgegengebracht und wieviel schmutzige Wäsche gewaschen wird. Mir kommen dann schon Bauchschmerzen, bevor die Situation überhaupt da ist. Denn in
der Situation selbst kann ich oft nicht helfend eingreifen, weil ich als Staatsanwalt eine andere Funktion habe. Da kommt man schon in einen gewissen Druck. Ich kann diese Belastungen nicht mehr so verarbeiten, wie es mir früher gelungen ist.
Mit den Schilderungen des Tatablaufs, der einzelnen Handlungen, komme ich dagegen gut zurecht, das kenne ich, das ist unser täglich Brot. Was hier hinzu kommt, ist diese enorme psychische Belastung, die natürlich in der Situation des Prozesses wieder hoch kommt. Wenn dann nicht einfühl
sam gefragt wird,...
Sie tragen hier als Ankläger Verantwortung, weil vielen Frauen an Verdrängung und nicht an einem Prozeß gelegen ist.
Sicher habe ich Verantwortung gegenüber diesem Opfer, das ich zwinge, das Ganze in öffentlicher Gerichtsverhandlung noch einmal zu erzählen und sich auch noch belastenden Fragen auszusetzen. Deshalb bin ich ja so interessiert, daß dann wenigstens der Umgang mit dem Opfer so wenig belastend wie möglich ist.
Glauben Sie, daß sich in den Gerichtssälen etwas ändert, wenn
mehr Frauen dort arbeiten?
Meine Erfahrung ist, daß das nicht vom Geschlecht abhängig ist, wie man sich in die Opfer einfühlen kann. Ich habe schon des öfteren Frauen erlebt, die viel krasser den Opfern eine Mitschuld oder gar eine Alleinschuld angedichtet haben, als dies Männer gemacht haben. Ich denke, daß da auch eine Menge Abwehrmechanismen eine Rolle spielen. Es gibt ja diesen Satz „Jede Frau ist ein potentielles Opfer“. Und wenn eine Frau das an sich heranläßt, wird es sehr schwierig, ohne Angst weiterzuleben. Dann kann man nicht mehr unbefangen mit Männern zusammensein, wenn man weiß, daß die meisten Vergewaltigungen aus Beziehungen geschehen.
Berührt Sie die tagtägliche Ermittlung in sexuellen Gewaltdelikten wirklich überhaupt nicht persönlich?
Es gibt selbstverständlich Tatschilderungen, wo ich beeindruckt bin, ein bißchen Buchschmerzen kriege. Ich habe gerade einen Fall, wo der Täter die Frau gezwungen hat, sich fotographieren zu lassen in der Situation und die Fotos sehen auch so aus. Das greift einen schon an, wenn man solche Fotos dann sieht.
Setzten sie Hoffnungen in den Knast?
Es findet eine unglaublich große Verdrängung statt, bei fast allen Männern, die verurteilt worden sind. Es ist sehr schwierig, da an die heranzukommen. Fragen: Barbara Debu
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