: DIE PENNERIN VON NEBENAN
■ „Die da!“ von und mit Christiane Reiff im Kroll-Theater
Auf einer weißen Parkbank sitzt, in schmutzige, alte Kleider eingehüllt, mit wirrem Haar und debilem Gesichtsausdruck, eine Pennerin. In der Hand hält sie eine Pulle billigsten Lambrusco. Links ein tütenbepackter Kinderwagen, rechts ein überquellender Mülleimer (Bühne und Kostüm: Beate Kelm).
In „Linie 1“ spielte Christiane Reiff die Pennerin Lola. Aus dieser Rolle hat sie nun ein eigenes Stück entwickelt: „Die da!“
„Die da“ blickt, mal dröge, mal grimassenschneidend, ins Publikum, bis im Raum das Licht erlöscht. Dann hält sie das neugierig-kicherige Gestarre nicht mehr aus. „Wat kiekt Ihr mir eijentlich so an?“ poltert sie los. Die Pennerin hat im Publikum einen Ansprechpartner, den sie langweilig und störend findet, aber da die Leute schon mal da sind, kann man sich auch mit ihnen unterhalten. Das Publikum wiederum läßt sich bedienen. Bei jedem Rülpsen bricht schallendes Gelächter aus, bei jedem Witz, und sei er noch so bitter, Kichern und Wiehern, quer durch die Reihen. Man ging in einen neuartigen Zoo am Samstag abend und beklatschte das, worum man ansonsten einen großen Bogen macht: „die da“. Ein Punkt für Christiane Reiff, wie widerlich es auch war, das zu beobachten.
Im Gegensatz zur Selbstdarstellung im Parkett war die Darstellung auf der Bühne großartig: wunderbar glaubwürdig, ohne Larmoyanz gebrochen, liebenswürdig schüchtern bei alledem.
„Die da“ wuchs bei den Großeltern auf, wurde als Achtjährige von einem Besoffenen auf dem Klo fast vergewaltigt, aber in solchen Fällen muß man dem Angreifer einfach in den Schwanz beißen, das wußte sie schon. Später schminkte sie sich wie „Odree Hepbörn“, und bei den Kumpels in der Pinte hatte sie mindestens ebensoviele Chancen wie jene. Christiane Reiff erzählt dies alles wie nebenbei, stakst wieder über die Bühne, sammelt im Publikum Geld für eine Flasche Bier und geht weiter im Text, einfach so. Später trank sie Schnaps auf der Parkbank. Bei einem Gang durch die Ämter lernte sie einen Beamten kennen, der sie zu erziehem versucht und ihr, als dies nicht gelingt, die Zähne einschlägt. Vor Wut schleudert sie ihm eine wertvolle Buddhafigur an den Kopf. Ob er noch lebt, weiß sie nicht.
Nein, das ist kein Wie-schlecht-gehts-den-Pennern-Stück. Da erhebt sich auch kein moralinsaurer Zeigefinger. So könnte es eben gewesen sein, im Leben einer Frau auf einer Bank. Basta.
Nach der Pause hat sich „die da“ deutlich gewandelt. Auf Entzug ist sie nun, trägt neue Kleider und einen Reif im Haar, die Füße sind im Pumps gezwängt. Gelebt und gearbeitet wird nun streng nach Stundenplan. Keine Bezirksbeauftragte könnte sich einen schöneren Schluß vorstellen. Ich hoffe nur, daß sich niemals eine wirkliche Pennerin in den S -Bahnbogen am Savignyplatz verirrt, diese könnte nämlich noch jahrelange Alpträume von der Sozialfürsorge bekommen, die einen Menschen verklemmt und gehemmt werden läßt, ihn der Freiheit beraubt. Ist das so? Hier schon.
Aber es gibt ja noch einen dritten Teil: Rückfall. Parkbank. Flachmann. Nacht. Keine Wohnung mehr, keine Arbeit, keine Therapie. Aus Angst vor einem Behördengang ist sie wieder hier gelandet. Das ist realistisch. Und gut. Leider. Für Christiane Reiff und ihren Regisseur Andreas Schmidt gibt es keinen Ausweg aus dem Teufelskreis. Für viele, viele andere auch nicht. Die aber singen nicht am Ende voll von zwanghaftem Optimismus „Wozu wat tun“ und schleudern auch nicht ihre Schuhe begeistert durch die Luft. Für die hört der Genuß der gewonnenen „Freiheit“ spätestens im nächsten Winter wieder auf. Das Stück endet vorher.
Es ist natürlich keine Pennerinnenidylle, die hier gezeigt wird, dazu ist der Text bei allem Witz zu hart. Aber die verhängnisvolle Ausweglosigkeit ist viel weniger das Thema als das gut zu verkaufende Anarchische in einer Outcast -Existenz. Gute Einfälle, dramaturgische und darstellerische Bestleistungen versüßen den halbwahren Schluß, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß dies ein Stück ist für all jene, die in Parks und Bahnhöfen die Augen verschließen und sich hier ihr Quentchen Betroffenheit mitnehmen können, ohne wirklich gefordert zu sein.
Petra Kohse
„Die da!“ von und mit Christiane Reiff, Regie: Andreas Schmidt. Kroll-Theater, Sa/So, 22 Uhr, Mo, 21 Uhr.
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