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DKP-Delegation schockte Ostberlin

Bremer Delegation mit Mitgliedern aus DKP, SPD, Grünen, Undogmatischen und der taz zur Debatte von Ökologie-Problemen zu Gast in der DDR / „Umweltverbrecher“ in der DDR? / SED-Vertreter schockiert  ■  Aus Berlin Klaus Schloesser

Der Genosse Uwe L. ist sich über die ökologische Strategie des BRD-Kapitals ziemlich sicher: Wo immer die Konzerne können, leiten sie Gifte und toxische Produktionsabfälle in Luft, Wasser und Boden , lügen und manipulieren. Zweifel hat Uwe L., seit 11 Jahren Mitglied der DKP, ob in der Führung der sozialistischen Bruderpartei möglicherweise nicht ähnliche „Umweltverbrecher“ sitzen. Der Augenschein läßt diese Vermutung jedenfalls für den DKP-Genossen L. nicht mehr ausschließen. 80-90 Prozent der Wesersalzfracht stammen zum Beispiel aus DDR-Kaliwerken, direkt an der Grenze, wenige Kilometer entfernt von Lübeck, existiert in Schönberg die größte Giftmüll-Deponie, auf der der hessische, niedersächsische, schleswig-holsteinische , hamburgische und bremische Kapitalismus seine ökologischen Sauereien ins sozialistische Ausland entsorgt. Auch in der DKP, zumindest in Bremen, herrschen inzwischen massive Zweifel, ob der real existierende Sozialismus noch ungebrochen als Vorbild dienen kann.

Die Radikalität dieses Zweifels zeigt sich in den politischen

Formen, in denen er in der Bremer DKP inzwischen ausgetragen wird. Uwe L. organisierte jetzt eine 15köpfige Delegation in die DDR. Drei Tage lang diskutierten Bremer DKPler mit SED -Vertretern über Ökologie in der DDR. Beteiligt auf ausdrückliche Einladung der DKP auch Grüne, Sozialdemokraten, das linke Bremer Querdenker-enfant -terrible Robert Bücking und sogar die taz.

Für die Vertreter der gastgebenden SED war der Skandal mutmaßlich schon perfekt, als sie bei der ersten Vorstellungsrunde am Donnerstag abend erfuhren, wen sie da alles - offensichtlich ahnungslos und im Vertrauen auf die westdeutsche Bruderpartei - ausgerechnet ins Gästehaus des Ministerrats der DDR gelassen hatten, um - in Anwesenheit eines taz-Journalisten - zum Beispiel über die Frage zu diskutieren, ob die eigene Parteiführung aus Umweltverbrechern zusammengesetzt ist.

Dabei hatte sie sich größte Mühe bei der Vorbereitung gegeben und nicht nur das Nobelquartier des Ministerrats mit Telefon, Vollbad, Streoanlage und Farbfernsehen (Aufkleber:„Eigentum des Volkes“, program mierbare Sender: DDR I und II,

ARD, SAT1), zur Verfügung gestellt, sondern auch hochkarätige Dskussionspartner organisiert. Immerhin der stellvertretende Umweltminister wurde angekündigt, dazu zum Beispiel der Philosoph Prof. Alfred Kosing. Das war, bevor den Gastgebern klar war, daß z. B. auch ein taz-Vetrtreter mitdiskutieren würde. Am nächsten Morgen jedenfalls war der Minister „kurzfristig mit einem anderen Auftrag betraut worden“. Statt seiner erläuterte ein Hauptabteilungsleiter des Ministeriums die „Grundsätze der Wechselwirkung von Ökonomie und Ökologie der DDR“ und hörte sich die höchst heiklen Fragen tur Werra-Versalzung der Bremer Genossen und ihre Forderungen nach sofortigen Sanierungsmaßnahmen an.

Vielleicht hätte doch der stellvertretende Minister selbst kommen sollen. Sein Abteilungsleitr sah jedenfalls keine Möglichkeit, die immer wieder erbetenen konkreten Zahlen über Schadstoff-Emissionen, einleitende Betriebe und ökologische Schäden zu nennen. Nicht zuletzt deshalb sahen sich die Delegationsbetreuer der SED einer geradezu ungeheuerlichen Bitte gegenüber: Ob es nicht möglich wäre, Vertreter autonomer Umweltgruppen, zum

Beispiel aus der Berliner Zions-Gemeinde, einzuladen, wollten die Bremer wissen. Man darf annehmen, daß diese Bitte im Gästehaus des Ministerrats öffentlich und in Anwesenheit Grüner, SPDler und völlig Undogmatischer eine Premiere war.

Einem SED-Vertreter fiel am Rande der offiziellen Gespräche nur eine einzige Parallele zu dieser Provokation ein: „Das wäre ungefähr so, als würden wir Euch (also die DKP) um die Vermittlung zu Kontakten zu Neonazis in der BRD bitten.“ Offiziell und in den mühsam bewahrten Konventionen der Höflichkeit lautete die SED-Entscheidung: „Das ist leider nicht möglich, wir bitten, die Entscheidung zu respektieren.“

Für das Selbstbewußtsein, die Kritikfähigkeit, die Lust an der Kontroverse und die Radikalität des Zweifels in der „neuen DKP“ spricht, daß die Angelegenheit damit keineswegs erledigt war. Beim gemeinsamen Abendessen von SED, DKP, SPD und Grünen diskutierten die Bremer, ob neben dem offiziell vorgesehenen Theaterbesuch am Abend ein weiteres, selbstorganisiertes Freizeitangebot gemacht würde: ein Besuch unabhängiger oppositioneller Öko-Gruppen. Der zweite Gang des Abendessens war längst abgetragen, als das neue DKP -Bewußtsein an seine vorläufige Grenze stieß. Um die SED -Gastgeber nicht in unüberschaubare Konflikte zu verwickeln, wurde für diesmal noch auf Kontakte zu Oppositionellen ver

zichtet. Anschließend gingen die meisten ins Theater: Schauspielschüler inszenierten ein Stück französischer Revolution. Die Probleme von Freiheit und Demokratie waren darin 200 Jahre alt. Am nächsten Morgen erzählte einer der Genossen: „Die SED hat das gesamte Programm abgeblasen.“ Daß das ein Witz war, mußte er ausdrücklich hinzufügen.

Im Verlauf der weiteren offiziellen Gespräche erfuhren die Bremer, warum in der DDR Ökonomie und Ökologie nicht in Widerspruch geraten, ein stetiges Wirtschaftswachstum im Sozialismus nicht nur möglich, sondern auch ökologisch machbar sei, warum die sowjetische Zeitung 'Sputnik‘ nicht mehr erhältlich ist, warum zwar die Sowjetunion Perestroika dringend nötig hat, nicht aber der DDR, warum die Wahrheit über Stalins Massaker in der DDR nur ausgewählten und standhaften Kommunisten zugemutet werden kann, warum die Mülldeponie Schönberg nicht nur absolut sicher, sondern auch ein Beitrag zur Völkerverständigung ist.

Als Uwe L. sich herzlich bei einem der Referenten bedankte, sprach er auch die „Belastbarkeit des Verhältnisses zwischen den befreundeten Parteien SED und DKP“ an. Solche Belastungen, so Uwe L., könnten ja auch einmal dazu führen, daß solche Freundschaften gekündigt würden. Zu diesem Zeitpunkt mußten die meisten allerdings darüber noch herzlich lachen.

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