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Prima Leben unterm Stiefel

Montagsexperten kommen zu Wort: Luigi Colani  ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E '8 9

Karl F. war früher politisch engagiert, u.a. in der Hausbesetzerbewegung und im Anti-AKW-Kampf. Nun, mit 32, fühlt er sich, als hätte er schon längst das Verfallsdatum überschritten. Und das, obwohl er schon diverse Lebensabschnittspartnerinnen abgelegt hat, nachdem sie für seine Frischzellenzufuhr nichts mehr hergaben. Auch das kulturelle Milieu, ihm bisher Wiege und Stallgeruch, wird zunehmend suspekt. Weiß er doch nach 18 Semestern Soziologiestudium, daß die Subkulturen fortwährend von der Bewußtseins- und Bekleidungsindustrie enteignet werden. Das hinterläßt bei ihm eine große Irritation: Muß nun wieder aus dem Biedermeier geklaut und der ausgebaute Dachboden jenseits vom Freischwinger hergerichtet werden, oder muß die legalisierte Wohnung zurückbemalt werden in die gedeckten Hippie-Farben der Siebziger? Karl F. ist orientierungslos.

Wo er hinschaut, verheddern sich die roten Fäden seiner Lebensführung zu einem Knäuel. Da besinnt er sich auf den Kern seiner selbst, hofft auf ein Herz in seiner Brust, das ihn bis zur Rente durchschlagen soll. Ausgelöst durch einen Bausparvertrag kommt ihm die Idee, sich zu einem konsumbewußten Citoyen durchzurecyceln („Ich war ein Autonomer“). Kurz: Er entdeckt seine Identität. Auf dieser Position will er ausharren, gut versorgt und theoretisch systemoppositionell, bis zum Tode. Der Widerspruch zwischen Opposition und Rentenanspruch aber wird ihm spätestens im 45. Lebensjahr ein Magengeschwür einhandeln. Ist dem Manne noch zu helfen?

Aber ja doch - und zwar vom Persönlichkeitsdesigner. Dieser Beruf etabliert sich momentan als die dritte wichtige helfende Instanz im Leben eines Menschen - neben Arzt und Psychoanalytiker. Seine Wurzeln liegen bei den Verbesserungsrubriken in den Hausfrauenzeitschriften („Mach mehr aus deinem Typ - vorher dünn und häßlich, jetzt neu gekleidet und frisch frisiert“), den Liberalen („Genschern“) und bei den Public-Relations („Ich rauche gern“). Der Persönlichkeitsdesigner hat zur Aufgabe, seinem Kunden rund alle vier Jahre eine sowohl auf ihn zugeschnittene als auch totale Rundumerneuerung zukommen zu lassen.

Mußte sich Karl F. bisher immer für das Erreichen der nächsten Karrieresprosse mühsam rechtfertigen („Sachzwänge“, „Politikfähigkeit“ etc.), genügt nun ein Hinweis auf die letzte unvermeidliche Rundumerneuerung. Sieht er sich gar falschen Freunden gegenüber, die ihre Meinung noch nicht geändert haben, rät er ihnen, den Designer zu wechseln, anstatt sich mit Schuldvorwürfen zu plagen. Das Magengeschwür bleibt aus. Auch ist er nicht mehr orientierungslos - ein Blick in den beim Persönlichkeitsdesigner ausliegenden Image-Katalog genügt. Außerdem kann er jederzeit seine Persönlichkeit wechseln nicht amateuerhaft und selbstgestrickt, sondern unter fachmännischer Beratung.

Darum: Wo der Schuh drückt, wird ein neuer gekauft. Nicht mehr Leben unterm, sondern leben als Stiefel.

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