piwik no script img

„Mehr Brechstange“

Dynamo Berlin behält den DDR-Pokal / „Versachst“ die Stadt?  ■  PRESS-SCHLAG

Die Jungs waren frühzeitig angereist. Schon am Vormittag standen sie auf dem Alexanderplatz, im Herzen der Hauptstadt der DDR. Das entrollte Transparent, gut sechs Meter lang, ließ keinen Zweifel, was die vielen blau-weiß Gekleideten hergeführt hatte: FCK Fanclub Trinkfest Bernsdorf. Bis zum Spiel waren es noch Stunden, und so gingen die Freunde des Fußballs einstweilen ihrer zweiten Lieblingsbeschäftigung nach. Und wir holen den FDGB-Pokal, und wir werden (ja wirklich, Herr Hupka!) Deutscher Meister.

Bernd F. würde das nicht gerne hören, zum Glück ißt er gerade fernab Currywurst am Bahnhof Friedrichstraße. In der S-Bahn vom gräßlichen Neubauviertel Marzahn in die Stadt hatte er sich über die ungebetenen Gäste ausgelassen: „Berlin versachst.“ Von Leipzig und anderswo kämen Menschen nach Berlin und machten sich breit, auf Dauer auch noch. „Die nehmen die besten Wohnungen, kriegen die besten Jobs, als Berliner, weeste, krisste kenn Bein mehr uffe Erde.“ Sein Kumpel nickt.

Und jetzt stehen welche auf dem Alex und singen im zarten Dialekt der Katarina Witt, daß deren Heimatstadt den Pokal gewinnt. Der FC Karl-Marx-Stadt streitet im 38. Finale gegen den BFC Dynamo Berlin. Die Berliner sind eine Macht: zehnmal hintereinander Meister, im vergangenen Jahr sogar das Double gewonnen. Leiden kann sie kaum einer. Die Mannschaft verbreitet Langeweile, das Image des protegierten Polizeivereins wird sie nicht los, bei internationalen Wettbewerben setzt es mehr Niederlagen. „Nicht einmal die Fans prügeln sich für den BFC“, sagt Bernd F., „die ham keine mehr.“

So wird das Spiel im „Stadion der Weltjugend“ zu einem Heimspiel für Karl-Marx-Stadt. Ein paar Anhänger des BFC schreien „Wir wollen keine Sachsen“, der FCK antwortet mit einer elektronischen, melodiösen Fanfare. Die trinkfesten Jungs haben es noch geschafft, ihr Tuch aufzuhängen. Von Südosten weht ein eisiger Wind und kein Glühwein wärmt; DDR -Sportstätten sind alkoholfreie Zonen. Harte Zeiten für die Burschen aus Bernsdorf, denn auch das Spiel verbreitet wenig Freude.

Die Angst diktiert den Lauf des Balls. BFC-Trainer Bogs: „Zuviel gegenseitiger Respekt.“ Kollege Meyer: „Keiner hat was riskiert.“ Ein DDR-Reporter hofft auf „bloß keine Verlängerung“. Er wird erhört, nur die Hoffnung der Parteizeitung 'Neues Deutschland‘ auf „spielkulturelles“ Niveau erfüllt sich nicht. „Mehr Brechstange als feine Klinge“ sah Trainer Meyer und schimpft auf den Rasen: „Eine schlimme Wiese, absolut unwürdig.“

Der „DDR-Fußballer des Jahres 1988“ hatte die Entscheidung besorgt. In der 58. Minute nimmt Andreas Thom einen langen Paß und schiebt den Ball am Torwart vorbei. Damit bleiben die Berliner international im Geschäft, denn Dynamo Dresden führt in der Oberliga fast uneinholbar, selbst ein Platz im UEFA-Cup ist dem BFC nicht sicher.

Nach dem Schlußpfiff sind die Kneipen weiträumig um das Stadion geschlossen, wenn auch manche nur „vorübergehend“. Der Trinkfestigkeit der Bernsdorfer Jungs scheint hier niemand zu trauen. Ein dummes Vorurteil, werden die sagen, gegen die Sachsen.

Thömmes

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen