: Wo Castros Vater laufen lernte...
...ist der Comandante bis heute umstritten / Fidel Castro war nie in Galizien ■ Aus Sarria Antje Vogel
Am liebsten hätte Victoria Lopez Castro erst gar nicht die Tür aufgemacht. Aber nun ist es zu spät. Da stehen schon wieder zwei Fremde vor ihr und wollen etwas über ihren berühmten Vetter hören. Als echte Galizierin versucht sie erst einmal abzuwimmeln. Sagt, sie sei gerade erst aufgestanden, wovon ihr zerzaustes rotes Haar zeugt, und in der Küche neben dem Holzofen wartet in einem Zuber die dreckige Wäsche.
Doch dann lädt sie in das ungeheizte Wohnzimmer, wo auf Zierdeckchen Keramikfiguren stehen, und redet sich in Fahrt. Es stimmt nicht, was über ihren Vetter Fidel behauptet wird, versichert Victoria Lopez Castro, daß er ein Diktator sei und in Kuba ein Schreckensregime errichtet habe. Sie sei vor ein paar Jahren seiner Einladung gefolgt und dorthin gereist, und am liebsten wäre sie geblieben. „Die Leute sind fröhlich dort, und es gibt keine Armut. Die Jugend ist begeistert von Fidel. Ich glaube, wenn er so schlimm wäre, wie die Leute hier behaupten, könnten die Kubaner nicht so lustig sein.“ Nach einem Jahr verließ Victoria Kubas Strände und kehrte in ihr regnerisches Galizien zurück. Dort lebt sie allein in einem abgelegenen Häuschen zwischen Hügeln und Eichenwäldern. „Der Körper will dann eben doch wieder in die Heimat zurück.“ Wenn sie aus dem Küchenfenster schaut, sieht sie das Haus, in dem Fidels Vater, ihr Onkel, aufgewachsen ist. Ein niedriges, dunkles Gebäude mit langgezogenem Dach, gegen den Regen. Von hier zog Angel Maria Bautista Castro Argiz um die Jahrhundertwende nach Kuba, wo er seinen Militärdienst ableistete.
„Fidels Vater war wohl ein Taugenichts“, mutmaßt Victor Lopez Villarabid. Der ältere Herr ist Korrespondent der Regionalzeitung 'El Progreso‘ für das Dorf Sarria. Daneben betätigt er sich seit 20 Jahren als Ahnenforscher in Sachen Castro. Er hat Dutzende dicker Aktenordner, in denen er Fotos von Fidels Verwandten, Zeitungsausschnitte über Kuba und Kuriositäten ablegt. Vor kurzem hat er die Taufurkunde von Fidels Vater ausfindig gemacht und schwenkt nun stolz ihre Abschrift. „Kuba, das war damals der Traum vom schnellen Geld. Viele Galizier sind Anfang dieses Jahrhunderts dorthin ausgewandert. Allein aus Sarria ist die Hälfte der Bewohner emigriert. Fidels Vater kam nach dem Militärdienst wieder hierher. Aber er war ein Kartenspieler, und er begriff, daß er hier hart arbeiten mußte, um leben zu können. Also ist er wieder nach Kuba zurückgekehrt.“ Dort kam er recht schnell zu Wohlstand, heiratete eine Italienerin und bekam Kinder.
Als eines von ihnen, Fidel, sich vor nunmehr 30 Jahren anschickte, dort die Revolution zu machen, stieß das keineswegs auf das Wohlgefallen seiner Landsleute aus Galizien. „Die Art, wie die Galizier dort reich wurden, muß nicht immer die sauberste gewesen sein“, vermutet Victor Lopez. „Als die Revolution ausbrach, packten viele in aller Hast ihre Siebensachen und kehrten nach Spanien zurück fast genauso arm, wie sie Jahre zuvor von dort aufgebrochen waren.“ Andere kehrten Kuba den Rücken, nachdem Fidel das Privateigentum beschränkt hatte. Der Tankwart am Ortsausgang von Sarria ist einer von ihnen. „Ich will von Fidel nichts hören“, wehrt er ab. Zwischen einer und der nächsten Tankfüllung erzählt er dann doch, er sei 1950 emigriert und 1968 wieder von Kuba abgehauen. „Sechs Taxen hatte ich dort und eine eigene Tankstelle. Mit nichts bin ich zurückgekommen.
Wenn Fidel vor 20 Jahren das Dorf seines Vaters besucht hätte, wäre er von den ehemaligen Emigranten vermutlich gelyncht worden, hatte Victor Lopez gesagt. Doch bei seinen Spanienaufenthalten ist Fidel nie nach Galizien gereist, auch wenn er seiner Familie durch Grüße und Trauerkränze seine Anhänglichkeit beweist.
Der einzige, der Sarria gelegentlich einen Besuch abstattet, ist sein Bruder Ramon, der keine offiziellen Posten bekleidet und deshalb nichts zu befürchten hat. Der trifft sich hier mit den verbliebenen Verwandten und verteilt Havanna-Zigarren - wie das Gemeinderatsmitglied der Konservativen Partei, auf der Straße nach den Castros befragt, positiv anmerkt. Er finde Fidel gut, sagt der Konservative, und habe sich schon häufig vorgenommen, nach Kuba zu fahren, dann jedoch nie den Absprung geschafft.
Kuba hat Spuren hinterlassen in Sarria. Die Kneipe gegenüber der Tankstelle heißt „Bar Cubano“, und die Auslage des Tabakgeschäfts präsentiert vornehmlich Zigarren. Noch immer ergreift die örtliche Presse jede Gelegenheit beim Schopfe, um gegen Fidel Castro und sein Regime zu Felde zu ziehen. Doch die kubanischen Erfahrungen sind vorbei, überlagert durch die Emigration nach Deutschland oder in die Schweiz, die in den fünfziger Jahren einsetzte. Sarria ist heute ein modernes Dorf mit neuen Häusern und breiten Straßen - dank des Geldes, das die Emigranten schicken.
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