piwik no script img

Ökotopia hat einen Namen: Los Angeles

■ Eine Smogmetropole wird ökologisches Vorbild / Von Silvia Sanides

Los Angeles ohne Straßenkreuzer oder Roadsters - undenkbar. Doch das Unglaubliche soll bis zum Jahre 2009 Wirklichkeit werden. Bis dahin sollen alle mit herkömmlichen Treibstoffen angetriebenen Fahrzeuge aus der Stadt verbannt sein. So zumindest haben es die für den Großraum Los Angeles zuständigen Bezirksverordneten beschlossen. US-Umweltgruppen wollen dafür sorgen, daß das Beispiel Schule macht - in New York und Chicago.

„San Francisco, 5. Mai 1999. Market Street, einst eine überfüllte Straße durch die Stadtmitte, ist heute eine mit Bäumen bewachsene Fußgängerzone. Die 'Straße‘ selbst, auf der elektrische Taxis, Minibusse und Lieferwagen entlanghuschen, ist auf zwei Spuren zusammengeschrumpft. Der Rest der früheren Straße besteht aus Fahrradwegen, Springbrunnen, Skulpturen, Kiosken und absurden kleinen, mit Bänken umstellten Gärten. Über allem liegt eine beinahe beängstigende Stille, betont noch durch das Surren der Fahrräder und die Rufe der Kinder.„

Dies ist San Francisco zu Beginn des 21. Jahrhunderts. So zumindest beschreibt Ernest Callenbach die Stadt in seinem Roman „Oekotopia“. Nachdem die Bundesstaaten Washington und Oregon im amerikanischen Nordwesten und das nördliche Kalifornien sich 1980 von den USA unabhängig machen, entwickeln sie eine neue, umweltorientierte Gesellschaftsform.

Die Sezession hat nicht stattgefunden. Dennoch scheint Ökotopia Wirklichkeit zu werden, allerdings nicht im Nordwesten, sondern im smogverseuchten Los Angeles im Süden Kaliforniens. „Eine neue Vision für Amerikas urbane Zukunft“, kommentierte die 'New York Times‘, „ein historischer Wendepunkt“, frohlockte Umweltschützer Mark Abramowitz. Anlaß für den Jubel ist der in den letzten Wochen verabschiedete Luftreinhaltungsplan, der Los Angeles und seine Umgebung in den nächsten 20 Jahren vom Smog befreien soll. 120 Punkte enthält der über fünf Jahre hinweg ausgearbeitete Plan. Mitte März war es dann soweit. Die verantwortliche Luftreinhaltungsbehörde, die für die Luftqualität in vier Regierungsbezirken im südlichen Kalifornien, zu denen auch Los Angeles gehört, zuständig ist, beschloß mit großer Mehrheit die ökologische Revolution. In der Region leben zwölf Millionen Menschen, die 5,6 Millionen Autos und zwei Millionen Lastwagen fahren. In nur zwanzig Jahren sollen die Dreckschleudern verbannt sein. Die Regierungsvorsitzenden der Bezirke haben dem Plan bereits mit großer Mehrheit zugestimmt. Die Bundesumweltbehörde in Washington wird zweifelsohne ihr Einverständnis geben, weil die vorgesehenen Maßnahmen weit über ihre Forderungen hinausgehen.

Die Umweltbeamten erwägen bereits, den Plan auch auf andere Städte wie New York und Chicago anzuwenden. Erstmals hat eine Behörde versucht, sich mit allen Aspekten eines städtischen Umweltproblems auseinanderzusetzen. Abramowitz: „Der Kampf gegen Luftverschmutzung wird im Badezimmer und im Medizinschrank, in den Garagen, den Gärten und den Küchen jedes Mann, jeder Frau und jedes Kindes in Südkalifornien stattfinden.“ Bekämpft wird der kalifornische Lebensstil. Es sollen benzinbetriebene Rasenmäher, die Verwendung von Brennspiritus für den Holzkohlegrill sowie Kosmetika und Putzmittel, die Schadstoffe in die Luft absondern, verboten werden. Lediglich Gürtelreifen, die die Umwelt weniger als andere Reifen belasten, sollen zukünftig erlaubt sein. Styroporbehälter werden abgeschafft oder mit umweltfreundlichen Methoden hergestellt. Drive-Through -Schnellimbisse, -Beerdigungsinstitute und -Bankschalter soll es nicht mehr geben. Kleine Betriebe wie Möbelfabrikanten und Trockenreinigungen sollen genauso strenge Luftreinhaltungsbestimmungen befolgen wie die großen Industrien.

„Privatautos wurden bald nach der Unabhängigkeit Ökotopias verboten. Zuerst galt dies nur für die Innenstädte mit hoher Verkehrsdichte und Luftverschmutzung. Mit der Expansion des Minibus-Services wurden diese Zonen schnell erweitert...“ („Oekotopia“)

Auch der wirkliche Luftreinhaltungsplan sieht eine umfassende Einschränkung des Individualverkehrs und die Umstellung von Kraftfahrzeugen auf saubere Brennstoffe oder Elektrizität vor. Die Kalifornier sollen ihre Abhängigkeit vom Auto aufgeben und neuentwickelte Massenverkehrssysteme benutzen. Die Anzahl der von einer behutsamen Familie zu benutzenden Autos wird festgelegt, Zulassungskosten für Zweitautos hochgesetzt, Parkplatzgebühren werden unerschwinglich. Niemand parkt mehr umsonst, auch nicht auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt. Behörden und Betriebe müssen ihre Wagen auf „saubere“ Brennstoffe wie Methanol umstellen. Im Jahr 2009 soll es auf Los Angeles‘ Straßen keine benzinbetriebenen Autos mehr geben. Die Auto- und Erdölindustrie hat den Plan mit Entsetzen begrüßt und mit dem fluchtartigen Verlassen von Los Angeles gedroht. 80.000 Arbeitsplätze, so ihre Vertreter, werden verlorengehen. Damit haben die Behörden jedoch gerechnet. Trotzdem, so die überwiegende Meinung von Umweltschützern und Regierenden, werden sich viele Punkte des Plans mit breiter Zustimmung der Bevölkerung durchsetzen lassen. Es bleibt den Kaliforniern nämlich gar keine andere Wahl als ihren Lifestyle zu ändern. Nicht nur die Umweltverschmutzung, sondern auch die Bundesumweltbehörde in Washington sitzt ihnen im Nacken. Immerhin hat Los Angeles im letzten Jahr an 176 Tagen gegen das Luftreinhaltungsgesetz verstoßen. Bis zum Dreifachen der zugelassenen Ozonmenge wurde im Sommer in die Atmospähre gepustet. Die Umweltbehörde, bekannt hauptsächlich für Langatmigkeit, handelt allerdings auch nicht aus freien Stücken. Sie ist auf Druck von Umweltorganisationen per Gerichtsentscheid beauftragt worden, in Südkalifornien zur Tat zur schreiten.

„Die Wolkenkratzer der Innenstadt, einst die Zentralen großer Konzerne, sind heute Wohnungen. In den unteren Etagen befinden sich Kindergärten, Einkaufsläden, Restaurants sowie Büros und kleine Fabriken.„

Einige Punkte des Plans sehen die Aufhebung der strengen Trennung zwischen Wohn- und Geschäftsvierteln vor. „Diese, wenn auch noch vagen Ansätze“, so Abramowitz, „zeigen, daß die Urheber des Plans die eigentliche Misere der modernen Städte begriffen haben.“ Sämtliche Verkehrs- und damit viele Umweltprobleme sind behoben, wenn Arbeits- und Wohn-, Einkaufs- und Freizeitstätten nahe beieinander liegen. Daß eine Behörde die US-amerikanischen „suburbs“ antasten will, erscheint allerdings geradezu revolutionär. Abramowitz ist dennoch überzeugt: „Los Angeles ist die Stadt, der andere folgen werden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen