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„Wir hoffen darauf, daß sich endlich etwas tut“

Seit Beginn des Hungerstreiks am 1.Februar sind die Mitglieder der Gruppe „Angehörige der politischen Gefangenen in der Bundesrepublik“ landauf und landab in Aktion: „Die Menschen müssen endlich wissen, was in unseren Gefängnissen eigentlich los ist“  ■  Von Maria Kniesburges

Sie sehen ihre einzige Chance darin, die Öffentlichkeit wachzurütteln. „Wir wollen natürlich alles tun, was möglich ist. Öffentlichkeit herstellen, wo es nur irgendwie geht. Damit die Leute endlich wissen, was in unseren Gefängnissen eigentlich los ist.“ Als müsse sie sich selbst noch einmal darin bestärken, wiederholt Verena Lauterbach, die Mutter der seit 1982 als Mitglied der RAF inhaftierten Adelheid Schulz: „Das ist das einzige Mittel, das wir haben Öffentlichkeit zu machen, daß die Presse, die Medien und die Menschen hier endlich einmal erfahren, was wirklich los ist bei uns.“

Neun Wochen nach Beginn des zehnten Hungerstreiks der Gefangenen aus der RAF und anderen Gruppen des militanten Widerstands stehen die Mauern, auf die solche Hoffnungen stoßen, so fest wie der Hochsicherheitstrakt Stuttgart -Stammheim. Die Verantwortlichen in Bund und Ländern teilen harsche Rügen gegen Berlins Regierenden Bürgermeister Momper aus, weil dieser angesichts der davoneilenden Zeit einen Vermittlungsvorschlag machte. In der Mehrzahl der Länderjustizministerien und an verantwortlicher Stelle in Bonn heißt die Devise unverändert: Hart bleiben, „der Staat ist nicht erpreßbar“. Tote unter den Hungerstreikenden sind bereits einkalkuliert. Nach einem Gespräch, das der Staatssekrätar im Bundesjustizministerium, Klaus Kinkel, in der Justizvollzugsstalt Aichach mit der dort inhaftierten RAF-Gefangenen Brigitte Mohnhaupt geführt hatte, berichtete ihr Anwalt, Dieter Adler, von unmißverständlichen Worten des Staatssekretärs: Eine Zusammenlegung der Gefangenen werde es nicht geben, „egal, wieviel Tote es gibt“. Diese Worte sind bislang nicht dementiert.

Die Springerpresse liefert wie gehabt die jetzt erforderliche Begleitmusik und biegt die Sonderhaftbedingungen der politischen Gefangenen zu Privilegien um. Dabei wird dann auch jede einzelne Thermoskanne in den Isolationszellen gezählt ('Die Welt‘ vom 31.März 1989). Und, so das Springerblatt in ungebrochenem Zynismus weiter: „Als es um das Leben von Schleyer ging, hat sich der Staat entschieden, 'hart‘ zu bleiben. Soll er jetzt nachgeben, wenn Mörder sich selbst bedrohen?“ Bittere Lektüre für die Angehörigen der politischen Gefangenen, die seit 1972 gegen die Isolationshaftbedingungen anzugehen versuchen und dabei von Bundesanwaltschaft und Springerpresse teils selbst schon zu Staatsfeinden erklärt wurden. Und doch, sie hoffen auf die Öffentlichkeit, darauf, „daß sich endlich etwas tut“.

„So kann es nicht mehr weiter gehen“

Und daß sich jetzt schnell etwas tun muß, das sagt die 66jährige Mutter der Gefangenen Adelheid Schulz so bedrückt wie nachdrücklich während dieses zehnten Hungerstreiks: „So kann es nicht mehr weitergehen, sagen die Gefangenen. Und wenn sie sagen, sie halten es so nicht mehr aus und es muß sich jetzt etwas tun, ist uns als Eltern klar: Was sie sagen, das stimmt. Das heißt, daß es ohne eine Zusammenlegung eher Tote gibt.“ Sie fügt hinzu: „So schwer und so schmerzlich das für uns Mütter ist - wir akzeptieren den Hungerstreik, weil wir sehen, daß es so nicht weitergehen kann. Sie haben ja gar keine andere Möglichkeit als zu hungern.“

Seit Beginn des Hungerstreiks am 1.Februar sind die Mitglieder der Gruppe „Angehörige der politischen Gefangenen in der Bundesrepublik“ unentwegt in Aktion. Sie reisen landauf landab von Informationsveranstaltung zu Informationsveranstaltung, um über die Situation und Haftbedingungen ihrer Kinder, Geschwister oder Freunde in den Gefängnissen zu berichten. Zusätzlich geben sie wöchentlich ein 'Hungerstreik-Info‘ heraus, in dem sie die ihnen zugängliche Informationen und Briefe aus den Gefängnissen veröffentlichen sowie über Solidaritätsveranstaltungen und -resolutionen berichten. Das 'Info‘ hat mittlerweile eine Auflage von über 10.000 Exemplaren erreicht. Nachdem acht Wochen nach Beginn des Hungerstreiks staatlicherseits keinerlei Ansätze zur Lösung des Konflikts in Sicht waren, obwohl die zwei Gefangenen Christa Eckes und Karl-Heinz Dellwo jeden Tag in Todesgefahr kommen können, suchte eine Gruppe der Angehörigen das Justizministerium in Nordrhein-Westfalen auf. NRW -Justizminister Krumsiek, SPD, fand sich zwar zu einem Gespräch bereit, hatte allerdings nichts Neues zu sagen. Sein Rezept: Die politischen Gefangenen sind strikt voneinander zu trennen und in das „normale Anstaltsleben zu integrieren“. Die Angehörigen nahmen daraufhin eine Mahnwache vor dem Düsseldorfer Justizministerium auf.

Wie die „Integration in das normale Anstaltsleben“ aussieht, beschreibt die Mutter von Adelheid Schulz, die im nordrhein-westfälischen Köln-Ossendorf inhaftiert ist: „Meine Tochter war zwei Jahre lang nicht an der frischen Luft, weil sie den Hofgang mit einer ebenfalls in Ossendorf inhaftierten Neo-Faschistin machen sollte. Das hat sie abgelehnt und ist deswegen in der Zelle geblieben.“ Von seiten der Anstaltsleitung, so berichtet Frau Lauterbach weiter, sei dazu bemerkt worden, „die Heidi könne doch auf einer anderen Ecke des Hofes gehen, wenn ihr die andere Gefangene nicht passe“. Helga Prauss, Mutter des Ende 1987 verhafteten und derzeit im Hochsicherheitstrakt Stuttgart -Stammheim inhaftierten Erik Prauss, ergänzt: „Das hat Methode, denn die Isolation ist ein Programm. Das heißt, man muß gar nicht allein sein, um isoliert zu sein. Denn auch die Justiz weiß ganz genau, daß diese Neo-Nazi-Frau keine Gesprächspartnerin für Adelheid Schulz ist. Und darum tun sie das. Nach außen kann dann gesagt werden: Sie hat ja jemanden, wir haben ihr jemanden angeboten, aber sie will ja nicht.“

Wer den Leiter der Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim, in der derzeit fünf Gefangene aus „RAF und Widerstand“ strikt von einander getrennt in hermetisch abgeschotteten Einzelzellen isoliert sind, nach „Sonderhaftbedingungen“ oder gar der „Isolationshaft“ befragt, erhält die Antwort: „Das gibt's hier nicht. Die Gefangenen, von denen sie sprechen, können am Gemeinschaftshofgang und am Gemeinschaftfernsehen teilnehmen.“ Wie das konkret aussieht, beschreibt Helga Prauss so: „Wenn sich bei einem Gemeinschaftshofgang ein Kontakt, ein Gespräch ergibt, dann sind die Gefangenen, die es gewagt haben, mit einem der politischen Gefangenen zu reden, anschließend gleich Repressionen ausgesetzt. Und sie werden natürlich ausgefragt, was der nun gesagt hat. Motto: Wenn du nichts sagst, wird sich das nachteilig auswirken für dich, nicht nur hierdrin, sondern sogar noch später. Es ist ja auch längst bekannt, daß Vertrauensleute des Knastes direkt auf die Gefangenen angesetzt wurden. Das können sie natürlich nicht akzeptieren. Aber nach draußen heißt es dann wieder: Sie sind ja nicht allein, sie wollen nur nicht.“

Frau Lauterbach holt einen Brief ihrer Tochter hervor, den diese am 6.Februar aus der Haftanstalt Köln-Ossendorf absandte, und liest vor: „Eine Frau, die jetzt ein paar mal im Hof herumgegangen ist, wurde von anderen Gefangenen angesprochen, sie solle das nicht machen, weil sie sonst jedes Mal aufgeschrieben würde und das dem BKA gemeldet würde. Und wenn sie entlassen wird, würde das dem BKA gemeldet.“

Sprechen im Dialekt als „Sicherheitsrisiko“

Und derweil das Springerblatt 'Welt‘, offenbar termingerecht gespickt von der Bundesanwaltschaft, keine Mühe scheut, die Zahl der bei den Gefangenen ein- und ausgehenden Briefe minutiös aufzulisten, um so die „zahlreichen Außenkontakte“ der Gefangenen ins gewünschte Licht zu setzen, beklagt Helga Prauss, daß es fünf Wochen gedauert habe, bis sie den ersten Brief ihres Sohnes nach Beginn des Hungerstreiks in Händen hielt. Und das auch erst, nachdem sie schriftlichen Protest bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe eingereicht hatte. Das aber, so Helga Prauss, sei keineswegs ein Einzelfall, sondern eher die Regel: „Da sitzt man zu Hause, und jeden Tag wartet man auf den Briefträger. Die ganze Tageseinteilung hat sich verändert. Wieder nichts dabei, wieder nicht, wieder nicht. Und so kommt eben keine Kommunikation zustande, so bekomme ich das Problem, das ich mit ihm klären wollte, nicht klar.“

Auch bei den Besuchen der Angehörigen im Gefängnis ist dies nur begrenzt möglich. Sie finden zwar nicht wie bei den Anwälten mit hochgefahrener Trennscheibe statt, aber bei Überwachung durch Staatsschutz- oder Vollzugsbeamte. „Wir sitzen uns gegenüber, nebendran sitzen zwei Beamte, die keinen Blick von uns wegtun“, beschreibt die Mutter von Adelheid Schulz die Situation. Das heißt: „Ich kann seit Jahren nicht mehr richtig mit meiner Tochter sprechen. Also wir können kein Wort über unsere intimsten privaten Sachen sprechen. Dinge, über die man gerne einmal sprechen möchte, die kann man da nicht sagen. Das geht nicht.“

Und selbst das Sprechen von Mutter und Tochter im Dialekt wurde zum „Sicherheitsrisiko“ erklärt. „Nachdem ich die Heidi schon drei Jahre lang im Gefängnis besucht hatte und immer allemanisch mit ihr geredet hatte, hieß es auf einmal: Kein Wort mehr im Dialekt. Aber wir haben noch nie anders miteinander geredet in den 33 Jahren, die die Heidi auf der Welt ist. Ich habe dann protestiert und gesagt: Sie werden doch nicht behaupten, daß sie drei Jahre lang nichts verstanden haben.“ Der Hinweis auf diese Paradoxie wirkte, die Justiz verzichtete auf gesprochenes Schriftdeutsch.

Nicht verzichtet wird dagegen selbstredend auf die Durchsuchung der Angehörigen bei jedem Besuch. „Wenn ich meinen Sohn besuche, dann werd ich immer so behandelt, als ob ich gespickt mit Waffen in dieses Gebäude gehe. Das wird dann überall gesucht. Säuglinge, Milchflaschen, alles wird durchsucht“, beschreibt Helga Prauss die Eingangskontrollen.

Von den laut Springer so angenehm gestalteten Isolationszellen weiß sie anderes zu berichten: „Die Isolation ist ja genau ausgeklügelt, und so ist auch der Raum gestaltet. Die Farben so, daß kein Sinnesreiz die Augen trifft. Die Türen so abgeschottet, daß kein Geräusch hereindringt. Und das Fenster so, daß kein Blick nach draußen fallen kann. Mein Sohn hat geschrieben, da sei ein Fensterchen, 60 mal 60 Zentimeter groß. Das ist aber innen vergittert, dann verdrahtet und außen noch einmal vergittert - und zwar so, daß er keinen Blick rauswerfen kann und praktisch auch keine frische Luft reinkommt.“

Nach kurzem Innehalten wiederholt sie die Hoffnung auf die Öffentlichkeit: „Es geht doch darum, klar zu machen, daß kein Mensch so im Gefängnis behandelt werden darf. Dafür müssen wir eine breite Öffentlichkeit schaffen.“

Doch an Öffentlichkeit fehlt es nach neun Wochen Hungerstreik nicht mehr. Von Kirchenvertretern über Ärzte und Anwaltsvereinigungen, politische Organisationen, Schriftstellern und anderen prominenten Personen wurde an die Verantwortlichen in Bund und Ländern appelliert, die Sonderhaftbedingungen zu beenden und die starre Haltung gegen die Forderung der Hungerstreikenden nach Zusammenlegung aufzugeben. Bisher vergeblich. Die Verantwortlichen demonstrieren Stärke - und die heißt in diesem Fall, daß man gewillt ist, auch Tote zu verkraften. Daran hat auch nichts geändert, daß die Anwälte der Hungerstreikenden Kompromißlinien, „Zwischenschritte“, die zu einem Abbruch des Hungerstreiks führen könnten, bereits vor mehr als einer Woche signalisiert haben.

Morgen sind es 63 Tage, seit die Gefangenen Christa Eckes und Karl-Heinz Dellwo die Nahrungsaufnahme verweigern. „Durch vage Versprechungen“, so sagt es Helga Prauss, „lassen sich die Gefangenen nicht von ihrem Entschluß abbringen. Sie wollen ihre Zusammenlegung. Und dieser Entschluß ist wirklich endgültig. In des Wortes vollster Bedeutung. Und wenn man das ausspricht, dann klingt es so, als berühre es einen nicht. Aber in Wirklichkeit friert man. Ich friere jedes Mal. Das sind Menschen, das scheint man vergessen zu haben.“

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