piwik no script img

Notwehr nach Vergewaltigung

„Den Liebhaber der Tochter aus Eifersucht erdrosselt“, titelt 'Bild‘ / Was nach Darstellung der Frau Notwehr nach der Vergewaltigung ihrer Tochter war, verkommt in 'Bild‘ zu einer „Tat im Sex- und Drogenrausch“  ■  Von Gunhild Schöller

Berlin (taz) - Der schreckliche Vorfall, der die Spalten der Boulevardpresse füllt, ereignete sich zu Ostern im türkisch besetzten Teil Zyperns. Die 48jährige Lehrerin Ute Loh aus Berlin hatte gestanden, den türkischen Zyprioten Özman Tulga mit ihrem Gürtel erdrosselt zu haben, um zu verhindern, daß er ihre 20jährige Tochter Melanie ein zweites Mal vergewaltigte.

Die beiden Frauen hatten etwa 500 Meter entfernt von dem Dorf, aus dem Tulga stammt, am Strand gezeltet. Nach Darstellung von Ute Loh hatte der Täter ihre Tochter Melanie zuerst bewußtlos geschlagen und sie dann vergewaltigt. Als er sich ein zweites Mal an ihr vergehen wollte, habe sie ihren Gürtel genommen und ihn aus Notwehr erdrosselt. Die Gesundheitsbehörde in Nikosia teilte mit, daß ihre Untersuchungen diese Darstellung bestätigten.

Mittlerweile sitzen Ute und Melanie Loh in der Stadt Famagusta in einer gemeinsamen Zelle in Haft. Erschwert wird ihre Situation durch den Umstand, daß es eine offizielle konsularische Vertretung der Bundesrepublik im türkischen Teil Zyperns nicht gibt. Dieser Teil Zyperns ist seit 1974 von der türkischen Armee besetzt und völkerrechtlich nicht anerkannt. Deshalb kann die deutsche Botschaft, die ihren Sitz im griechischen Teil der Insel hat, die Interessen der beiden Frauen nicht offiziell vertreten.

Die Botschaft hat jedoch Kontakt zu den Frauen und vermittelte ihnen auch zwei RechtsanwältInnen türkisch -zypriotischer Herkunft. Nach Aussage eines Botschaftssprechers ist für Freitag ein zweiter Haftprüfungstermin angesetzt. Entgegen den Schlagzeilen der Springer-Presse sei eine Anklage gegen die beiden Frauen wegen „gemeinschaftlichen Totschlags“ nicht erhoben worden. Statt dessen ist am kommenden Montag der Termin für eine Vorverhandlung am Amtsgericht Famagusta anberaumt: Dabei sollen Zeugen gehört werden, erst danach entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob - und gegebenfalls welche - Anklage erhoben wird.

Belastend könnte sich für Mutter und Tochter auswirken, daß in ihrem Zelt geringe Mengen Haschisch gefunden wurden. Der Besitz von Rauschgift wird im türkisch besetzten Teil Zyperns streng bestraft. Schwerwiegender als eine mögliche Strafe für Drogenbesitz könnte jedoch sein, daß die Stimmung in der Bevölkerung sich dadurch gegen die Frauen wendet. Während die Notwehr einer Mutter, die die Ehre ihrer Tochter retten will, anerkannt wird, könnte nun die Tat im Milieu von „Sex und Drogen“ angesiedelt werden.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen