: Im Grunewald, im Grune- wald ist Arbeitsaktion...
■ ABM-Kräfte im Wald: Lange Anfahrtswege, schlechte Arbeitsbedingungen und fehlende sanitäre Anlagen / „Das Forstamt behandelt uns wie Dummköpfe“
Fröstelnd und noch etwas müde schlagen acht Männer den Waldweg zur Saubucht ein. Es ist sechs Uhr früh und der Spaziergang in der kühlen Morgendämmerung nicht gerade freiwillig. Mehr als eine halbe Stunde Fußmarsch durch den Grunewalder Forst benötigen sie, um an ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Arbeitsbeginn: 6.30 Uhr pünktlich am Bauwagen. „Die Stammarbeiter werden zu ihrem Einsatzort gefahren“, schimpft Michael S., „bloß wir ABMler müssen loofen.“
Die acht Männer gehören zu einer von 17 Kolonnen von ABM -Kräften, die im Grunewalder Forst im Rahmen eines Sonderprogramms flexibel einsetzbar Rekultivierungsarbeiten verrichten. Insgesamt sind in den Berliner Forsten 338 ABM -Kräfte beschäftigt, 119 davon arbeiten im Grunewald. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Bezirken. Michael S. zum Beispiel wohnt in Tegel. Er ist allein für einen Weg von der Wohnung bis zur Arbeit im Forst zwei Stunden unterwegs. Seine Kollegen sind meist nicht viel besser dran. Eine dieser Kolonnen ist derzeit damit beauftragt, in der Saubucht, rund 20 Minuten zu Fuß vom Teufelssee entfernt, die Traubenkirsche auszuroden. Für neu hinzugekommene ABMler wie Michael S., der seit Anfang März dabei ist, macht das zunächst wenig Sinn. Unter „Rekultivierungsarbeiten“ hatten sie sich etwas völlig anderes vorgestellt. In ihren erlernten Berufen sind sie Schlosser, Maurer, Kellner oder Dachdecker. So muß der Vorarbeiter, ein gelernter Forstwirt, erst einmal Sinn und Zweck des Unternehmens erklären: „Die Traubenkirsche ist ein sehr vitales Gewächs“, erläutert er die forstwirtschaftliche Maßnahme. „Aber eben weil sie so vital ist, schadet sie dem Bestand der heimischen Baumarten wie Eiche, Kiefer, Linde und Birke. Außerdem enthält die Traubenkirsche Blausäure, und deshalb kommt das Wild nicht mehr hierher zum Äsen.“
Doch auch solche Erläuterungen vermögen die Leute nicht zum begeisterten Arbeitseinsatz in der frischen Luft bei Mutter Natur zu motivieren. Die ABM-Waldarbeiter sind nicht nur mit der weiten Anfahrt und dem langen Fußmarsch zur Arbeit unzufrieden. Vor allem die Arbeitsbedingungen und die Behandlung durch die Forstverwaltung erhitzt die Gemüter. Sie fühlen sich wie „Dummköpfe der dritten Kategorie, die den Dreck wegräumen“, behandelt und als Lückenbüßer.
Am meisten ärgert die Leute allerdings die fehlenden sanitäre Ausstattung an ihrem Arbeitsplatz. So stehen für die 20 Mann in der Saubucht drei Bauwagen zur Verfügung, die zugleich als Pausenraum, Umkleide- und Waschraum zu nutzen sind. Zwei Plastikschüsseln dienen als Waschgelegenheit. Toiletten gibt's überhaupt nicht.
Michael S. beschwerte sich bereits an seinem zweiten Arbeitstag über die fehlenden Klos beim zuständigen Forstamt Eichkamp. Er solle mit dem Spaten in den Wald gehen, erhielt er zur Antwort. Aufgebracht über die patzige Antwort beim Forstamt legte Michael S. Beschwerde beim Landesamt für Arbeitsschutz (LAS) ein. Dort erfuhr er zu seinem Erstaunen, daß das LAS bereits Ende 1987 der Forstverwaltung Auflagen zum Bereitstellen sanitärer Anlagen für die ABM-Kräfte erteilt hatte. „Wir erfuhren erst durch die erneute Beschwerde vor drei Wochen, daß die Auflagen nicht erfüllt worden sind“, bestätigt Herr Klaus vom LAS die Zustände gegenüber der taz. Im blinden Vertrauen von Behörde zu Behörde wurde auf eine Nachkontrolle verzichtet.
Gemäß der Arbeitsstättenverordnung muß bei mäßig schmutzender Tätigkeit für je fünf Personen eine Waschgelegenheit vorhanden sein. Auf die Frage, ob denn Plastikschüsseln als Waschgelegenheit bezeichnet werden können, meint der Arbeitsschutz-Mann: „Das genau ist der wunde Punkt.“ Mitten im Wald müsse man natürlich Abstriche machen. Schließlich könnten keine Wasserleitungen quer durch den Forst gezogen werden. Auch wäre es unsinnig, täglich mit schweren Wasserfahrzeugen den Leuten hinterher in den Wald zu fahren. Wie das Problem zu lösen sei, überläßt er der Forstverwaltung.
Hinsichtlich der Klos sieht die Situation ähnlich aus: Für bis zu 25 Beschäftigte müßten zwei WCs und zwei Pinkelbecken in einem Umkreis von 100 Metern vorhanden sein. Auch hier müßten wohl Abstriche gemacht werden, so Klaus, doch sei es den Waldarbeitern nicht zuzumuten, 20 Minuten bis zum nächsten öffentlichen Klo am Teufelssee zu laufen.
Bei der Forstverwaltung selbst war trotz mehrmaliger Anfrage keine auskunftsberechtigte Person anzutreffen, und sie verwies an die den Forsten übergeordnete Senatsstelle für Stadtentwicklung und Umweltschutz. Der dortige Pressereferent Heinrich von Bargen wies den Vorwurf, die Auflagen vom Landesamt für Arbeitsschutz seien nicht eingehalten worden, zurück. Toilettencontainer könnten im Grunewalder Forst nicht aufgestellt werden, da es sich um Landschaftsschutz- und Naturschutzgebiete handele. Die Forstverwaltungen seien angehalten, die Einsatzorte so zu organisieren, daß sie sich in der Nähe von öffentlichen BSR -Toilettencontainern oder nahe der Forstämter befänden. „Die Forsten stehen da zwischen Baum und Borke“, nimmt von Bargen die Forstverwaltung in Schutz, „denn die Auflagen der Arbeitsstättenverordnung gelten in der strengen Form nur für Berlin.“ Ihre wesentliche Aufgabe bestehe darin, die Natur zu schützen; und die Toilettencontainer würden das Landesschutzgebiet gefährden.
Die konkrete Arbeitssituation für die ABM-Leute sieht allerdings anders aus. Sie wurden mittlerweile noch tiefer in den Wald geschickt. Einige ABMler haben bereits das Handtuch geschmissen. Von den ursprünglich 20 Mann ist noch ein Dutzend übrig geblieben, und denen kommt es inzwischen nur noch darauf an, solange durchzuhalten, bis die Ansprüche auf Arbeitslosenunterstützung wieder erfüllt sind. Michael S. hat allerdings mit seiner Initiative schon viel erreicht. Zum einen stärkte sein Vorstoß den Zusammenhalt der ABM -Waldarbeiter untereinander. So werden Mitte April Sprecher für alle im Grunewalder Forst beschäftigten ABMler gewählt, die deren Interessen gegenüber der Forstverwaltung vertreten sollen. Zum anderen wurde seine Beschwerde mittlerweile an höhere Stellen weitergeleitet. So sollen sich nach Angaben von Arbeitsschutz-Mann Klaus die verschiedenen zuständigen Senatstellen mit den Zuständen im Grunewalder Forst befassen.
Doch Michael S. kann sich über den Erfolg seiner Bemühungen nur wenig freuen. Inzwischen hat er von der Forstverwaltung zwei Abmahnungen erhalten. Nun befürchtet er, mit einer dritten den Job und damit verbunden die fast sichere Zusage auf eine Umschulung zu verlieren. Die Vermutung liegt nahe, daß das Forstamt mit diesen Verweisen versucht, den unbequemen ABMler mundtot zu machen und seine für die Forstverwaltung mißliebigen Aktivitäten zu unterbinden.
ki.
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