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UNO-Friedenstruppen „Geisel Südafrikas“

■ Namibischer Kirchenrat kritisiert das Verhalten der UNTAG-Truppen / Kämpfe zwischen Südafrikanern und Swapo-Anhängern forderten 180 Tote / Südafrika begrüßt Bericht des UN-Generalsekretärs / Perez will persönlich die Situation im Norden Namibias analysieren

Windhuk (dpa/afp/taz) - Vier Tage nach Ausbruch der Kämpfe im Norden Namibias ist es der dort eingesetzten UN -Friedenstruppe (UNTAG) noch immer nicht gelungen, die Kämpfe zwischen den südafrikanischen Besatzungstruppen an Swapo-Anhängern zu beenden. Der Rat der Kirchen in Namibia (CCN) warf am Dienstag den UNTAG-Truppen vor, sie seien mit ihrer Verpflichtung zur Unparteilichkeit „Südafrikas Geisel“ geworden.

Der Kirchenrat, dessen sieben Mitgliedskirchen etwa 80 Prozent der 800.000 Christen in Namibia repräsentieren, nannte mehrere Beispiele dafür, daß UNTAG-Soldaten bei den Kämpfen im Norden nicht auf Appelle der Bevölkerung reagiert hätten. In einem Fall sei ein UNO-Offizier betrunken gewesen, als Reisende ihn um Schutz baten. Ein anderer UNTAG -Soldat habe „seinen Roman weitergelesen“, als Geistliche ihn unterrichten wollten, daß mehrere Menschen von der Polizei erschossen worden seien.

„Mit großer Bestürzung“ habe der Kirchenrat auch von der UNTAG-Entscheidung Kenntnis genommen, daß „berüchtigte“ südafrikanische Armee-Einheiten im Gegensatz zu bestehenden Vereinbarungen nun doch wieder in das Kampfgeschehen eingreifen dürfen. Kritisiert wurde auch, daß die UNO im Kampfgebiet selbst offenbar nur weniger als zehn Mann stationiert hat. Insgesamt hat die UNTAG bislang nur etwa tausend Soldaten im Lande, das Gros der Verbände sollte erst in den nächsten Tagen eintreffen.

Ein Sprecher der Polizei teilte gleichzeitig mit, daß bis Dienstag morgen „161 Guerilleros“ der namibischen Befreiungsbewegung Swapo erschossen worden seien. Bei den Kämpfen im Norden, die am Samstag ausgebrochen waren, wurden nach seinen Worten im selben Zeitraum 19 Polizisten getötet und 41 verletzt. Nach südafrikanischer Darstellung waren am vergangenen Freitag mehr als 1.000 Swapo-Kämpfer von Angola aus nach Namibia eingedrungen, um dort Stützpunkte anzulegen.

In Kapstadt zeigte sich ein Sprecher des südafrikanischen Außenministeriums unterdessen zufrieden mit dem Bericht, den UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar zum Thema Namibia für den UNO-Sicherheitsrat erstellt hatte. In dem Bericht hatte Perez de Cuellar sorgfältig eine Schuldzuweisung für den Ausbruch der Kämpfe vermieden, alle beteiligten Parteien jedoch zu größtmöglicher Zurückhaltung aufgerufen. Noch am Samstag hatte Südafrika der UNO-Friedenstruppe in Namibia mit dem Rausschmiß gedroht, sollte die Weltorganisation nicht „angemessen“ auf die Vorfälle in der Grenzregion reagieren.

Wie in Windhuk mitgeteilt wurde, will der südafrikanische Generaladministrator Louis Pienaar persönlich in die Krisenregion an der Grenze reisen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Er soll dabei von Generalleutnant Prem Chand, dem Kommandanten des militärischen Kontingents der UNTAG, und möglicherweise auch vom Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen für das südwestafrikanische Land, Martti Ahtisaari, begleitet werden.

Ahtisaari geriet unterdessen zunehmend unter Beschuß, da er einem Eingreifen des gefürchteten Bataillons 101 der Territorialstreitkräfte in die Kämpfe zugestimmt hatte. Die Swapo, die auch am Dienstag bestritt, daß in den vergangenen Tagen Untergrundkämpfer von Angola aus nach Namibia eingeschleust worden seien, verlangte eine Erklärung von UNO -Generalsekretär Javier Perez de Cuellar. Der außenpolitische Sprecher der Swapo, Theo-Ben Gurirab, sagte, die Swapo habe schon immer Stützpunkte auch in Namibia gehabt, und es seien keine weiteren Kämpfer von Angola aus ins Land gekommen. Er warf der UNO-Friedenstruppe UNTAG vor, daß sie südafrikanischen Einheiten die Erlaubnis zum Verlassen der Kasernen gegeben habe. „Unser Volk wird unter der Flagge der Vereinten Nationen abgeschlachtet.“

Derweilen mehren sich die Hinweise, daß Desinformation und mangelnde Aufklärung als Hintergrund für die schweren Gefechte in Nord-Namibia zu sehen sind. Die meisten der Swapo-Kämpfer waren offenbar in Unkenntnis von Einzelheiten des Unabhängigkeitsplans davon ausgegangen, daß ihnen die UNO-Friedenstruppen in Nord-Namibia Stützpunkte zur Verfügung stellen würden, auf die sie sich zurückziehen können. Auf dem Weg von den eigenen Stützpunkten zu den „Blauhelmen“ liefen sie dann direkt den namibischen Polizeipatrouillen in die Arme.

Der UNO-Plan verlangt von der Swapo ebenso wie von den namibischen Sicherheitskräften, sich auf ihre Basen zurückzuziehen. Für die Swapo galt dabei eine Grenzlinie von 160 Kilometern hinter der namibisch-angolanischen Grenze auf angolanischem Territorium. In Nord-Namibia, wo mittlerweile Tausende von Flüchtlingen in ungefährlichere Gebiete abwandern, stehen sich gegenwärtig schätzungsweise 1.000 Swapo-Anhänger und 3.500 südafrikanische Besatzungstruppen gegenüber. Die schwersten militärischen Auseinandersetzungen im 23jährigen Buschkrieg der Swapo gegen die südafrikanische „Besatzermacht“ werden nach Auffassung südafrikanischer Militärs allein in Anbetracht der zahlenmäßigen Überlegenheit der Sicherheitskräfte „bis spätestens Ende der Woche beigelegt sein“.

Dem südafrikanischen Außenminister Roelof „Pik“ Botha zufolge befinden sich noch weitere 4.000 bis 5.000 Swapo -Kämpfer in der Nähe der Grenze in Angola.

Nach dem Unabhängigkeitsplan sollen unter UNO-Aufsicht die Südafrikaner stufenweise aus Namibia abziehen, eine Verfassungsgebende Versammlung gewählt und das Land am 1. April 1990 unabhängig werden. Zugleich sollen die kubanischen Truppen Angola verlassen haben.

mf

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