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„Der Staat sollte sich menschlicher zeigen“

Klaus Bölling, in den 70er Jahren sowie 1982 Regierungssprecher unter der Regierung Helmut Schmidt: Zur Abwendung einer tödlichen Zuspitzung im Hungerstreik der RAF-Gefangenen sollten die Kirchen das Gespräch mit dem Kanzler suchen  ■ I N T E R V I E W

taz: Der Hungerstreik der Gefangenen aus der Rote Armee Fraktion und anderen militanten Gruppen dauert jetzt bereits neun Wochen an. Der gesundheitliche Zustand des in Niedersachsen (Celle) inhaftierten Karl-Heinz Dellwo hat sich heute verschlechtert, wie der Sprecher des niedersächsischen Justizministeriums mitteilt. Gleichzeitig scheint die Situation festgefahrener denn je zu sein. Ein Vorschlag der Verantwortlichen in Justiz und Politik, der zu einer Beendigung des Hungerstreiks führen könnte, ist nicht in Sicht. Die Situation spitzt sich zu. Wie lautet Ihre Einschätzung? Welche Lösungschancen sehen Sie?

Klaus Bölling: Es muß befürchtet werden, daß die RAF, obgleich politisch und moralisch lange schon ausgebrannt, nach dem ersten Opfer des Hungerstreiks ihre in Wahrheit kaum noch vorhandene Kraft für einen neuen terroristischen Anschlag zu nutzen versucht und damit alle Ansätze zu sinnvollem Argumentieren kaputt gemacht werden. Fast scheint es mir so, daß der sogenannte harte Kern der RAF, zum Beispiel Helmut Pohl, die Dramaturgie der „Staffel“ dem Generalbundesanwalt gleichsam zum Geschenk machen will. Der Staat sollte sich da klüger und menschlicher zeigen. Noch in dieser Woche müßte vom Justizminister oder den Länderministerpräsidenten gemeinsam mit der Bundesregierung über die durchaus vernünftigen und pragmatischen Anregungen von Gerhard Boeden oder über eine Variante des Konzepts des Verfassungsschutzpräsidenten gesprochen werden. Der Staat wird nicht in seinen Grundfesten erbeben, wenn Gefangene aus verschiedenen Haftanstalten zusammengelegt oder wenn kleinere Gruppen von RAF-Terroristen aus zwei oder drei Ländern formiert werden. Wenn er sich die möglichen Folgen einer neuen Eskalation vorstellt, müßte auch der „eiserne“ Kurt Rebmann im wohlverstandenen Interesse des Staates dem zustimmen können.

Auch der Bundeskanzler hat - gerade aus dem Urlaub zurückgekehrt - den Standpunkt bekräftigt: „Der Staat ist nicht erpreßbar.“ Die Linie heißt: Hart bleiben. Die Frage: Verliert der Staat sein Gesicht, wenn von kompetenter Seite ein Vorschlag zur Lösung des Konflikts vorgelegt wird? Zumal dieses aus der stärkeren Position heraus geschähe.

Der Staat und die Nachhut der RAF sind doch nicht gleichwertige Partner, weshalb das Argument des Bundeskanzlers neben der Sache liegt. Martialische Erklärungen der Vertreter des Staates ermutigen nur die zur Intransigenz entschlossenen RAF-Gefangenen und ihre Sympathisanten, den unsinnigen „Endkampf“ fortzusetzen, dem dann noch mehr unschuldige Menschen zum Opfer fallen werden. Ein Dutzend Jahre später muß sich der Staat nicht mehr als unbeugsam vorführen. Er sollte sich ein Stück mehr Menschlichkeit leisten, auch wenn seine fanatischen Gegner ihm dafür nicht Dankschreiben schicken werden.

Eine Einigung aller Bundesländer auf einen gemeinsamen Vorschlag ist nicht in Sicht. Auch ein gemeinsamer Vorstoß der SPD-regierten Länder scheint wieder in die Ferne gerückt zu sein. Was müßte Ihrer Meinung nach geschehen? Welche Chancen könnte ein Vorstoß zumindest einiger Länder haben?

Es ist tieftraurig, daß das Thema einer vernünftigen und humanen Reaktion des Staates auf den Hungerstreik nach der Initiative von Walter Momper jetzt von unnützen parteipolitischen Kontroversen überschattet wird, wobei die Maximalisten unter den einsitzenden RAF-Leuten durch ihr elitäres Gehabe den Verfechtern der sogenannten harten Linie gratis die Munition ins Haus liefern. Aber auch das darf für den Staat keine Ausrede sein, denn er hat ja, was auch die Anhänger von Rebmann nicht bestreiten, eine grundgesetzliche Pflicht, das Leben auch der RAF-Gefangenen zu schützen. Diese Pflicht muß er genauso ernst nehmen wie die Pflicht, den Strafvollzug so anzulegen, daß er dem Ziel der Resozialisierung dient. Ich meine, es ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, da die führenden Männer beider großer Kirchen unmittelbar das Gespräch mit dem Kanzler suchen sollten, denn der ist ja nach eigener Auskunft ein gläubiger Christ und wird nicht den Eindruck zulassen wollen, daß der Staat die Sühne so weit treiben will, daß die Persönlichkeiten der Täter zerstört werden. Das wäre dann bloß Rache, und der Rechtsstaat würde dann schlimmen Schaden nehmen.

Im Bundeskanzleramt wurde gerade noch einmal bekräftigt, der Konflikt sei „bei den Juristen in besten Händen“. Bisher hat dies kein Ergebnis erbracht. Ist nicht eine politische Entscheidung gefragt?

Einem Mann wie dem durch und durch integren Staatssekretär Klaus Kinkel traue ich nicht zu, daß er mutwillig ein Todesopfer in Kauf nimmt. Das halte ich wiederum für RAF -Propaganda. Kinkel scheint aber an den einem Beamten gezogenen Grenzen angelangt zu sein. Wenn Gespräche mit den Beteiligten am Hungerstreik jenseits aller törichten Prestigewettkämpfe das Schlimmste verhindern sollen, müssen sie schleunigst vom Justizminister und vom Bundeskanzler selber weiterbewegt werden. Der Staat hat in unserem Land, auch geschichtlich gesehen, noch allerhand an Menschlichkeiten nachzuholen.

Interview: Maria Kniesburges

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