: Wer ist denn hier die Flora?
■ Im Rosenthal-Haus dekorieren hoffnungsfrohe Floristinnen Gefäße aus dem Verkaufssortiment mit Pflanzen und werden dafür mit Preisen belohnt / Einblick in Welten, wo es noch schüchterne Knicks‘ gibt
Einerseits: Da mühen sich rechtschaffene Azubis der Kunst (des Handwerks) der Blumenbinderei, Floristinnen, angehende, stecken feine kleine Flora zusammen, bunt, und grün und mit schönen Formen, wohlproportioniert, wie nur die Natur sie schafft, wenn man sie zudem noch zurechtschneidet, und es sieht hübsch aus, unbestreitbar. Da werden Ideen entwickelt, wie sich Formen und Farben zueinander zu verhalten haben, damit sie sprechen, laut und deutlich und nicht zu überhören, da werden die Sockel mit Sicherheitsglassplittern und Kohleklümpsken garniert, damit das Licht mitspiele und bunt flirrende Schatten die Spielwiese des Auges streichen.
Einerseits ist es eine liebe große Nettigkeit, wenn die Firma Rosenthal den angehenden Floristinnnen die Gelegenheit schafft
endlich einmal das, was sie die ganze Zeit unter Aufsicht erlernen völlig frei, an eine Öffentlichkeit zu bringen. Natürlich schafft es den Floristinnnen ungewohnte Möglichkeiten, wenn sie in einem geschmackvollen Haus wie diesem, wo geschmackvolle Verdiener ihren geschmackvollen Lie
ben einen geschmackvollen Kaffeelöffel zum Wiegenfest erstehen, ohne jede Rücksicht auf die Verkäuflichkeit ihrer Produkte und ohne die Enge von Vorgaben, wie sie die materielle Not setzt, ihre floristischen Ideen auf der Bühne erlesener designerischer Einzelstücke inszenieren dürfen.
Aber andererseits: da mischt sich ein knurriges Gefühl in die sektselige Heiterkeit, da mag ich nun doch nicht so ganz unbefangen sein, wenn sich die Nerzträgerinnen ganz eng an die Bügelgefalteten drängen, wenn das Rosenthalglas gegen das Cartier-Uhrband klingelt, da feiert sich an
einem solchen Ort eine nichtsnutzige Ästhetik, die auch zu diesen Menschen nicht paßt, weil sie mit ihrem Leben nichts zu tun hat, Werbung für Waren die so überflüssig sind wie ihre Käufer selbst fern jeder ästhetischen oder gar kreativen Idee.
Dabei sind dann die süßen kleinen gerührten Floristinnen nichts weiter als selbst kleine naive Schaustücke, die ihre geschmückten Gefäße noch einmal um einige Grade schmücken. „Ja, das ist ja nett, daß Sie das so schön hingekriegt haben, nicht wahr, wie machen Sie das denn bloß, daß Sie eine solch feine Idee für diese niedliche kleine Vase haben?“ Und schüchtern machen sie einen Knicks und senken Kopf und Stimme und antworten bereitwillig auf jede Frage, die sich ihnen stellt. ste
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