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„Dinge, die nicht ganz koscher sind“

■ Gerichtsverfahren gegen Arzt um Tod der Patientin nach Knieoperation eingestellt / Stationsarzt könne nicht die alleinige Schuld angelastet werden

„Es ist nicht wichtig, hier einen Schuldigen zu finden, sondern die Ursache des tragischen Falles aufzudecken, damit so etwas nicht noch einmal passieren kann.“ Damit benannte der ärztliche Gutachter Dr. Lenk gestern die bezeichnende Wende in dem Strafprozeß gegen Dr.H., angeklagt wegen fahrlässiger Tötung der 17jährigen Gabriela B. Die Eltern beschuldigten in diesem Prozeß den Chirurgen, für den Tod ihrer Tochter verantwortlich zu sein.

Im St.-Josefs-Krankenhaus tätig, operierte Dr.H. am 30. Oktober 1986 das Mädchen am Knie, da sie sich beim Fußballspielen ein angerissenes Kreuzband zugezogen hatte. Eigentlich kein lebensgefährlicher Eingriff, doch für Gabriela waren die Folgen tragisch - am Mittwoch, dem 5. November, war sie tot. In der verschlossenen Operationswunde hatten sich Bakterien angesiedelt, die von dort aus hochgiftige Stoffe in die Blutbahn schwemmten. Bereits zwei Tage nach der Operation hatte Gabriela hohes Fieber, dunkelrote Hautausschläge, Durchfall - typische Symptome für das äußerst seltene „toxische Schocksyndrom“ (TSS). Doch keiner der Ärzte, die Gabriela betreuten, stellte die richtige Diagnose. Der diensthabende Arzt am Wochenende tippte auf eine Grippe, Dr.H., der als verantwortlicher Stationsarzt am Montag seinen Dienst antrat, vermutete Röteln.

Die Wunde am Knie, so ergab seine Untersuchung, zeigte keine verdächtigen Veränderungen. Eine postoperative Veränderung, von Chirurgen als größte Komplikation gefürchtet, meinte Dr.H. damit ausschließen zu können. Doch genau das gehört zum Krankheitsbild der TSS - äußerlich ein unverdächtiger Befund, während innerlich ein dicker Bakterienherd tobt.

An TSS habe er aber überhaupt nicht gedacht, so Dr.H. vor Gericht. FÜr Gutachter Lenk nicht weiter überraschend: „Mangelnde Information ist für viele Ärzte ein typisches Symptom.“

Im Prozeßverlauf kristallisierte sich mehr und mehr heraus, daß nicht bei Dr.H. allein die Schuld für den Tod des Mädchens zu suchen ist. „Das Ausmaß der Schuld soll hier beurteilt werden“, so Richter Föhrig, „nicht die entsetzliche Folge.“ Und dieses Ausmaß sei gering. Dr.H. habe einen Fehler begangen, „wie er jedem von uns in seiner Arbeit passieren kann“. Richter Föhrig plädierte deswegen für eine Einstellung des Verfahrens. Der Vorschlag fand allgemeine Zustimmung, 30.000 Mark Schmerzensgeld muß Dr.H. Gabrielas Eltern zahlen, dann ist das Verfahren eingestellt.

Doch damit sei natürlich nichts darüber gesagt, so betonte Richter Föhrig, daß in diesem Krankenhaus Dinge vorkommen, die nicht ganz koscher seien. Unerwähnt blieb auch die abgelehnte Klage gegen zwei Ärzte, die durch unzureichende Hygienemaßnahmen möglicherweise für die Baktierenansammlang in Gabrielas Knie verantwortlich sind. Genauso ungeklärt blieb, ob von seiten der ärztlichen Versorgung und der pflegerischen Betreuung am Wochenende Fehler begangen wurden. Aber „all dies war auch nicht Gegenstand dieses Prozesses“.

Für die Eltern von Gabriela B. ist der „Fall“ damit nicht erledigt. Sie wollen weitere Verfahren anstrengen, um auch die weiteren Beteiligten zur Verantwortung zu ziehen.

maz

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