Der Lübecker Hase und der Gift-Igel: Ick bün all hier

Die unendliche Geschichte der hundertfachen Klagen der Stadt Lübeck gegen die tausendfachen Transporte von Gift- und Hausmüll auf die DDR-Deponie Schönberg / Abschied vom Hoffnungsträger Engholm / Stadt verliert erneut Prozeß / Der Mülltourismus in die DDR soll ab 1990 noch weiter ausgeweitet werden  ■  Von Manfred Kriener

Berlin (taz) - Die unendliche Geschichte des Klagenmarathons der Stadt Lübeck gegen die Giftmülltransporte auf die DDR -Deponie Schönberg ist wieder um eine Episode reicher. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe schmetterte am Mittwoch drei Klagen der Stadt gegen insgesamt 29 Transportgenehmigungen des Landes Baden-Württemberg nach Schönberg ab und gab der Stuttgarter Landesregierung damit grünes Licht für weiteren Mülltourismus über die deutsch-deutsche Grenze. Im Gegensatz zu Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte hielten die Karlsruher Richter diesmal die Sicherheit der umstrittenen DDR-Deponie für gewährleistet. Tenor des Urteils: Eine konkrete Gefährdung der Trinkwasserversorgung für die Stadt Lübeck sei nicht gegeben. Kurioserweise hatte noch am 11. Oktober 1989 genau dasselbe Gericht andersherum entschieden. Gerichtsentscheidungen als Schönberger Roulette? Neue Gutachten sollen die Richter von der angeblichen Sicherheit der DDR-Kippe überzeugt haben.

Die Grünen in Lübeck haben am Donnerstag die juristische Strategie der Stadt scharf kritisiert. „Die Klagerei ist nur noch eine Alibigeschichte, um der Bevölkerung Aktivitäten vorzugaukeln. Die werden noch in 20 Jahren klagen, wenn die Deponie längst voll ist,“ seufzt der Stadtverordnete Günter Wosnietza. Inzwischen seien fast einhundert Klagen gegen eine Unzahl von Transportgenehmigungen der verschiedensten Bundesländer abgewickelt worden, ohne daß sich irgend etwas geändert habe. Im Gegenteil: Nicht nur die Klagen, auch die Lieferungen von Gift- und Hausmüll hätten neue Rekorddimensionen erreicht.

Die Grünen verlangen, daß die Stadt neue juristische Wege geht und das Bundesverfassungsgericht anruft. Außerdem müsse endlich die schleswig-holsteinische Landesregierung gegen den ständig wachsenden Mülltourismus intervenieren.

Auch der juristische Experte der Stadt Lübeck, Wenkebach, sieht die Klagen seiner Kommune inzwischen „auf einem toten Punkt“. Über das Karlsruher Urteil ist er „besonders empört“, weil das Gericht den Streitwert auf 435.000 Mark raufgedrückt habe. Die Stadt hat nicht nur verloren, sie muß auch noch kräftig löhnen. Ohne große Hoffnung haben die Lübecker dennoch Widerspruch beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim erhoben. Den Weg vors Bundesverfassungsgericht hält Wenkebach aber für „völlig aussichtslos“. Schon aus formalen Gründen sei hier nichts zu machen, da die Stadt als Kommune durch die Giftkippe nicht in ihren Grundrechten beeinträchtigt sei.

Das Karlsruher Gericht stützte sich jetzt in seinem Urteil auf ein Gutachten des Fachausschusses der Länderarbeitsgemeinschaft Abfall. Mit diesem Gutachten haben sich diejenigen, die nach Schönberg entsorgen, also die Bundesländer, nochmals selbst die Unbedenklichkeit ihres Tuns attestiert. Das Gutachten wiederum stützt sich auf Material, das die DDR den Bundesländern zur Verfügung gestellt hat. „Katastrophal inkompetent“ ist das Urteil des Lübecker Schönberg-Experten und Hydrogeologen Klaus Gronemeyer über die Gutachterei der Länderarbeitsgemeinschaft. Doch vor der Karlsruher Justiz hatte das Papier der Länder Bestand.

An der großen Koalition der Bundesländer bei der Schönberg -Entsorgung hat auch „Hoffnungsträger“ Björn Engholm mitgewirkt. Schleswig-Holsteins Beamte mischten bei der gutachterlichen Absolution der DDR-Deponie im Rahmen der Länderarbeitsgemeinschaft kräftig mit. Daß sich die Stadt Lübeck von der neuen SPD-Landesregierung völlig im Stich gelassen fühlt, ist inzwischen ein offenes Geheimnis. Die Klagen haben inzwischen, so der Stadtverordnete Wosnietza, nicht einmal mehr symbolischen Wert. Die Transportgenehmigungen würden exekutiert, ob Klagen vorliegen oder nicht. „Die haben ihren Dreck schon abgekippt, bevor die Richter überhaupt die Robe übergezogen haben.“

Die Stadt Lübeck kann nämlich solange nur auf aufschiebende Wirkung der einzelnen Transportgenehmigungen klagen, wie eine grundsätzliche Hauptsache-Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der DDR-Entsorgung bei den Oberverwaltungsgerichten aussteht. Und die „trauen sich da nicht ran“, resigniert Wenkebach. So bleibt der Stadt Lübeck weiterhin nur, wie der Hase dem Igel hinterherzulaufen.

Und der Hase wird künftig noch mehr Arbeit bekommen: Die Ausweitung des Mülltourismus, dies geht aus einer gestern bekannt gewordenen geheimgehaltenen Senatsvorlage der Hansestadt Hamburg hervor, ist beschlossene Sache. Ab 1990 sollen 450.000 Tonnen Hausmüll und 250.000 Tonnen Klärschlamm nach Schönberg gekarrt werden. Hamburg wird seine DDR-Entsorgung „erheblich ausweiten“.