: Auch der Südpol soll dran glauben
■ Auf den letzten unberührten Kontinent der Welt warten beim anvisierten Rohstoffabbau jede Menge Katastrophen
Brasilien will den Amazonas alleine kleinkriegen und wehrt sich vehement gegen jeglichen „ökologischen Kolonialismus“, im arktischen Alaska hat das Sterben schon begonnen, und auch am südlichen Pol, der Antarktis, stehen die Zeichen auf Sturm. Einen Vorgeschmack hat der Kontinent mit den gigantischen Ausmaßen von 14.Mio. Quadratkilometern eisiger Fläche in jüngster Zeit mehrmals erlebt: Vor der Nordküste verloren zwei Versorgungsschiffe zu Beginn des Jahres Riesenmengen Öl. Tonnenweise Krill starb, Jungvögel und ganze Pinguinjahrgänge wurden ausradiert. Chilenische und argentinische Forscher warnten danach vor den verheerenden Folgen der Ölpest.
Davon redet heute kaum noch jemand. Vielleicht erst dann wieder, wenn ein Ölleck das hyperempfindliche Ökosystem zum Kollaps bringt. Es übersteigt die Vorstellungskraft vieler, daß ein Fußabdruck im antarktischen Moos 20 Jahre sichtbar bleibt, eine Bananenschale gar 100 Jahre braucht, bis sie zersetzt ist. Und erst ein Ölleck? Wie da von Schadensersatz reden? Wahrscheinlich wird sich der Verursacher wie jüngst der Exxon-Chef in Alaska entschuldigen: Kotau vor der Natur.
Der Einstieg in dieses Szenario wurde mit dem am 2.Juni 1988 im neuseeländischen Wellington paraphierten Vertragswerk zur Regelung des Abbaus von Rohstoffen (CRAMRA) am Südpol geschaffen. Noch bis zum 25.November 1989 geben sich die 20 Vollvertragsstaaten Zeit zur Zeichnung, um die Konvention, an der jahrelang behind closed doors fieberhaft gebastelt wurde, endgültig zu ratifizieren. Doch die Würfel sind gefallen. Seitdem geologische Studien beweisen, daß unter der riesigen Süßwasser-Eiskuppel ungeahnte Bodenschätze - Öl, Eisenerz, Kohleflöze etc. - lauern, wird nur noch um das „Wie“ eines salonfähigen Absahnens des „Reservoirs“ gefeilscht.
Besonders die deutsche Gangart spricht Bände. Gerade noch rechtzeitig sprang man auf den fahrenden Zug auf und wurde 1978 Vollmitglied im Antarktisausbeutungsverbund - bezahlt mit Hunderten von teuren Millionen für Forschungsprogramme, Winterstation, einen Eisbrecher und ein Forschungsinstitut in Bremen. Aber irgendwann wird es sich lohnen, so glaubt Forschungsminister Riesenhuber (CDU). Das glauben sie alle, die Industrienationen. Vorerst beschwichtigen sie. „Ein Rohstoffabbau ist, wenn überhaupt, dann erst weit nach dem Jahr 2000 denkbar“, so Riesenhuber. Dabei spiele eben nicht allein die Ökologie eine Rolle, sondern auch die Entwicklung der Rohstoffpreise. Die in Wellington damals noch vom Auswärtigen Amt geleitete deutsche Delegation plädierte denn auch in erster Linie für internationale Bergbauvorschriften in der Antarktis, die „praktisch handhabbar“ seien. Natürlich habe ein anzustrebendes Rohstoffabkommen das Ziel, einen „effektiven Schutz“ der dortigen Umwelt- und Ökosysteme zu gewährleisten. Heute liegt der Vertrag zur Zeichnung im Wirtschaftsministerium. „Da liegen die wahren Interessen“, so eine Greenpeace-Sprecherin in Hamburg. Andere wurden noch deutlicher. Der US-Geologe Michael Halbouty 1985 im 'Wallstreet Journal‘: „Für mich ist es keine Frage, daß die Antarktis unter den Bohrer kommt.“
Doch die Natur hat auch Lobbyisten. Neben Greenpeace, die sich schon seit Jahren gegen ein Rohstoffabkommen und für einen „Weltpark Antarktis“ einsetzen, äußern sich auch zunehmend Wissenschaftler kritisch. Das Institut des französischen Meeresbiologen Cousteau startete kurz nach Bekanntwerden der Ölpest in Alaska eine Aktion in der Pariser Tageszeitung 'Le Parisien‘, die innerhalb kurzer Zeit 50.000 Unterschriften für einen „Weltpark“ Antarktis zusammenbrachte. Noch bemerkenswerter ist die Petition von 81 neuseeländischen Wissenschaftlern, die allesamt an Antarktis-Forschungsprogrammen beteiligt waren. Sie forderten im November 1988 eine Ersetzung der Rohstoffkonvention durch eine Vereinbarung, die kommerzielle Rohstoffsuche und -ausbeutung ausschließt.
Von den 1988 anwesenden 20 Vollmitgliedstaaten müssen 16 das Vertragswerk zeichnen. Cousteau glaubt, durch öffentlichen Druck vier bis fünf Staaten an der Zeichnung zu hindern. „Einerseits ist es ermutigend, daß nach all den Jahren auf das, was wir sagen, gehört wird. Andererseits ist es deprimierend, daß es nicht früher geschah. Man hätte so viel Zerstörung verhindern können.“ Damit nicht noch mehr kaputtgeht: packen wir's an!
Andrea Seibel
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