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Üben für das „Großschadensereignis“

■ Landeswettbewerb der freiwilligen Rotkreuz-Helfer / Geschminkte Verletzte als „psychische Vorbereitung für den Ernstfall“ - den schließlich doch keiner will / Im Alltag haben es die Helfer mit Kleinigkeiten zu tun

„Aua, aua, mein Bein“, schreit Birgit den Rotkreuzhelfer an. Ihr Jogginganzug ist blutverschmiert, ihr Knöchel dick angeschwollen und blau verfärbt. In der Turnhalle liegen noch zwei weitere Verletzte. Jürgen ist anscheinend vom Reck gestürzt, an der Stirn hat er eine blutende Platzwunde. Gabi liegt leichenblaß auf dem Boden. „Der Schock sieht echt gut aus“, kommentiert ein Zuschauer auf der Empore die Szenerie.

Nichts ist echt: das Blut kommt aus der Tube, die Knöchelschwellung ist aus Knetmasse. Die „Verletzten“ werden von Jugendlichen aus dem Jugendrotkreuz gemimt. „Du machst das sehr gut“, lobt die Schiedsrichterin Gabis Vorstellung. „Mit renitenten Patienten umgehen ist das Schwierigste bei der Arbeit.“ Weniger gut machen die Helfer ihre Sache. Nach 20 Minuten sind erst zwei der „Verletzten“ geborgen. Das wird einen Punktabzug geben und macht einen Sieg beim diesjährigen Rotkreuz-Landeswettbewerb der freiwilligen Helfer ziemlich unwahrscheinlich.

In der Charlottenburger Anna-Freud-Oberschule geht an diesem Samstag vormittag alles seinen wohlgeordneten Gang, Hektik und Chaos gibt es nicht. Sieben Mannschaften aus den Berliner Bezirken konkurrieren um den Landesmeistertitel. Deshalb sind die Aufgaben genormt, müssen alle Rotkreuzhelfer dieselben Übungen durchführen. Zunächst kommt die schriftliche Prüfung: was ist zum Beispiel zu tun, um nach einem Bandsägenunfall den abgetrennten Finger sicherzustellen. Dann folgen praktische Übungen als Einzeltest und in der Gruppe.

Die Wandertrophäe durfte in diesem Jahr der Kreisverband Reinickendorf nach Hause tragen. Der Landessieger darf am Bundeswettbewerb teilnehmen, der schließlich in einen europaweiten Rotkreuz-Wettbewerb mündet. Auf Europa-Ebene messen sich die Helfer dann zum dritten Mal. Doch vor Ort kämpfen sie mit anderen Problemen: Nachwuchssorgen machen dem Roten Kreuz zu schaffen. „Der Wettbewerb dient der Aus und Fortbildung der Bereitschaften“, erklärt der stellvertretende Landesbereitschaftsführer, Norbert Kroschel.

Deswegen muß alles so echt wie möglich aussehen, als „psychische Vorbereitung“ für den Ernstfall. Deshalb wurde das Hemd des Brandwundenopfers, das gelassen auf seinem Stuhl in der Ecke sitzt, angesengt, der Arm mit schwarzem Ruß beschmiert. In der Ecke des Schulraums sitzt dafür Susanne mit ihrer Schminkausrüstung. Sie hat einen extra vom Roten-Kreuz angebotenen Schminkkurs mitgemacht, um heute die Opfer stylen zu können.

Der Rot-Kreuz-Alltag allerdings kommt ungeschminkt daher: „Da haben wir eher mit Kleinigkeiten zu tun. Pflaster verteilen, Übelkeit, mal ein Bruch“, heißt es. Die 800 bis 900 ehrenamtlichen Berliner Rot-Kreuz-Helfer werden meist bei Konzerten, Demonstrationen und anderen Großveranstaltungen wie dem IWF-Kongreß oder während der 750 -Jahr-Feier eingesetzt. Ihre Ausbildung soll sie aber für den Einsatz bei sogenannten „Großschadensereignissen“ vorbereiten. „Wir sollen dann helfen, wenn es die Feuerwehr nicht mehr schafft“, so ein Rot-Kreuz-Mitglied.

Ein solches „Großschadensereignis“ war zum Beispiel der La Belle-Bombenanschlag oder der Brand im Krankenhaus Mariendorfer Weg im letzten Jahr. Doch diese Einsätze der Freiwilligen kann der stellvertretende Landesbereitschaftsführer an den Fingern abzählen. So bewegt sich das Engagement der Helfer zwischen ständiger Aus- und Fortbildung für den Einsatzfall und dem eher unspektakulären Alltagsdienst. „Eigentlich ist man ganz froh, wenn während des Dienstes nichts passiert“, faßt ein Helfer zusammen. „Aber dann denkt man wieder: zehn Stunden Einsatz für nix.“

Frauke Langguth

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