Noch gibt es eine Lösung!

Zweiter Aufruf der Gruppe Osterappell 1989 an Staat und RAF-Gefangene für eine Lösung im Hungerstreik  ■ D O K U M E N T A T I O N

Kompromiß und Katastrophe sind jetzt ganz nah. Wer die Katastrophe will, ist kurz vor seinem Ziel. Wer nicht genug dagegen tut, macht sich mitverantwortlich.

Wir haben in unserem Osterappell gesagt: Es gibt eine für beide Seiten akzeptable Lösung. Dieser Satz ist auch heute noch wahr. Die vermittelnde Lösung gibt es immer noch. Ihre Umrisse sind einfach und deutlich. Das macht es leichter, es den Unnachgiebigen schwerer zu machen. Die Öffentlichkeit soll wissen, woran es liegt und an wem, wenn eine vermittelnde Lösung nicht zustandekommt. Die Unschuld, in der sich die Unnachgiebigen ihre Hände waschen könnten, wird es nicht geben.

Aber noch gibt es eine mögliche Lösung. Im Kern ist es dies:

-Die Gefangenen erhalten Möglichkeiten, zusammenzusein und miteinander reden zu können;

-in Gruppen mittlerer Größe. An der genauen Zahl darf eine Lösung nicht scheitern;

-ein Austausch zwischen den Gruppen ist möglich;

-zum Zweck der politischen Auseinandersetzung - auch mit Andersdenkenden - können mehrere Gruppen für einen begrenzten Zeitraum zusammengeführt werden.

Gegen eine solche Lösung werden viele Argumente angeführt: Erpreßbarkeit, Sonderstatus und Verfestigung sind Stichworte für ernst gemeinte und ernst zu nehmende Bedenken.

Es muß abgewogen werden:

-Der Rechtsstaat soll sich nicht erpressen lassen. Aber er darf sich auch nicht zum Gefangenen seiner eigenen Strategie machen. Und: Er hat eine Fürsorgepflicht den Häftlingen und den Opfern möglicher künftiger Anschläge gegenüber. Wenn er diese Pflicht erfüllt, handelt er menschlich und verliert nicht sein Gesicht. In Unnachgiebigkeit liegt nicht seine Stärke.

-Es soll keinen Sonderstatus geben. Aber: Es gibt die besonderen Haftbedingungen - besonders für RAF-Gefangene schon immer. Am Gruppenvollzug ist nichts Unrechtmäßiges. Auch früher ist darin kein Privileg gesehen worden. Warum soll es nicht einen ausdifferenzierten Normalvollzug geben, mit besonderen Haftbedingungen für besondere Gefangenengruppen? Die Gefangenen aus der RAF sind eine besondere Gruppe. Daß sie Zusammenhalt und das Gespräch miteinander viel dringender als andere brauchen, ist verständlich. Warum ihnen diese Möglichkeit nicht zugestehen?

-Es heißt, dadurch verfestigte sich ihre rechtsfeindliche Haltung. Diese Ansicht ist umstritten. Aber selbst wenn es so wäre, menschliche Kontakte und Gespräche lassen sich ihr Ergebnis nicht vorschreiben. Sie sind nicht das bessere Ab oder Auflösungs-Instrument. Wer Dialog anbietet und dabei nur an Ausstiegshilfe denkt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er auf Ablehnung stößt. Die Gefangenen sind erstmals bereit, sich auf die politische Diskussion mit Andersdenkenden einzulassen. Dazu müssen sie auch die Möglichkeit haben, miteinander zu sprechen.

Und das Risiko? - Sie miteinander sprechen zu lassen hat vielleicht eine Verfestigung innerhalb, Hungertote hätten sicher eine Verfestigung der RAF außerhalb der Gefängnisse zur Folge.

Solche Abwägung führt zu einer „Mittel-Lösung“. Sie wäre nicht das „Alles für Alle“, das die Gefangenen fordern. Aber auch nicht ein unbefriedigendes „Etwas für Einige“, sondern erfüllte für alle den Teil der Forderungen, der im Sinn eines humanen Strafvollzugs von vielen Menschen als berechtigt anerkannt werden kann.

Die Vorschläge der Länder sind kein Geheimnis mehr. Und es ist offenkundig, wie uneinheitlich ihre Linie bisher ist. Jetzt ist es an der Öffentlichkeit, die Verantwortlichen auf allen Seiten zu drängen. Alle, insbesondere die Kirchen, sollen dabei helfen und jetzt so laut sprechen, daß man sie auch hören kann.

Wir appellieren:

An Bayern, Baden-Württemberg und Hessen: Stehen Sie einer Zusammenlegung nicht im Wege.

An Berlin, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein -Westfalen. Viele erkennen Ihr Bemühen. Doch wo bleiben die konkreten Angebote? Tun Sie etwas, auch wenn es auf Ihre Länder beschränkt ist. Sagen Sie jetzt nicht nur, wozu Sie bereit gewesen wären.

An die Gefangenengruppe: Lehnen Sie einen Vorschlag, der Ihre Möglichkeiten, zusammenzusein und miteinander sprechen zu können, deutlich verbessert, nicht ab. Sie werden keinen Menschen, der es ehrlich meint und nachdenkt, davon überzeugen, daß sie nur in Großgruppen den „Zusammenhang, der Teil von Ihnen geworden ist“, entwickeln können. In Gruppen mittlerer Größe muß sich niemand durch Isolation gefoltert fühlen. Zeigen Sie den Menschen, daß Ihr Hungerstreik wirklich ein Streik für humanere Haftbedingungen ist und widerlegen Sie die Angst, daß Ihre Aktion neue RAF-Mitglieder rekrutieren und möglichen künftigen Mordanschlägen den Weg bereiten soll.

gez. Dr. Carlchristian von Braunmühl, Hilde von Braunmühl, Dr. Hubertus von Braunmühl, Dr. Wilhelm von Braunmühl, Dr. Claudia von Braunmühl, Prof. Dr. Karl Bonhoeffer, Dr. Thea Bauriedl, Lukas Beckmann, Carola Stern, Prof.Dr.Dieter Georgi, Dr. Antje Vollmer, Antonie Heidemann, Inge Aicher-Scholl, Birgit Laubach, Heinrich Albertz, Dr. Kurt Scharf, Prof.D.Helmut Gollwitzer, Prof. Dr. Dorothee Sölle, Martin Walser, Dr. Gerd Pflaumer, Prof.Dr.Jürgen Seifert.