: Tanz unterm Regenbogen
Brüssel (taz) - Noch strotzt der Regenbogen, der die Teilnehmer des Meetings von den neuen Wahlplakaten herab angrinst, in allen Spektralfarben. Doch schon beim ersten Erfahrungsaustausch, zu dem die bisherigen Europaabgeordneten des grün-alternativen Bündnisses in der Regenbogenfraktion ihre NachfolgerInnen bzw. KollegInnen in spe Ende letzter Woche an die überklimatisierte Stätte ihres zukünftigen Wirkens geladen hatten, flackerte erster Zwist über die Farbkomposition der kommenden Grünen-Fraktion im EG -Parlament auf.
Mit der Verteilung des Pelzes, mahnte der Agrarexperte der bundesdeutschen Grünen, Friedrich Wilhelm Greafe zu Baringdorf die Runde, möge man sich bitteschön bis nach der Erlegung des Bären am 18.Juni gedulden. Doch die grüne Aktivistenschar bewegte schon jetzt die Frage: In welchem Grün präsentiert sich nach den Europawahlen die neue Fraktion? Oder treffender: Wieviele rote Tupfer verkraftet der Regenbogen der Europa-Grünen? Nach den letzten Europawahlen hatten sich 20 Abgeordnete verschiedener links -alternativer, ökologischer und regionalistischer Gruppen zum „Regenbogen“ zusammengeschlossen. Der Name sollte Vielfalt und Bandbreite der neuen Fraktion symbolisieren, die von konservativen Lodenmantelökologen aus Belgien bis zu proletarischen Kämpfern aus Italien reichten. Innerhalb des Regenbogens bildeten die sieben bundesdeutschen Grünen (sie hatten 8,4% ergattert) zusammen mit einem Italiener, zwei Belgiern und zwei Holländern das Grün-Alternative Bündnis (GRAEL), den eigentlichen grünen Kern der schillernden Fraktion. Doch der ist insbesondere den flaschengrünen französischen „Les Verts“ zu bunt.
1984 hatte die französische Öko-Partei den Sprung in die europäische Arena verfehlt. Doch nach ihrem sensationellen Wahlerfolg bei den Kommunalwahlen pendeln die Prognosen jetzt zwischen 10 und 15%. Auch aus anderen EG-Ländern ist Zuwachs zu erwarten, so daß die neue Fraktion leicht auf das Doppelte anschwellen kann. Doch wer dann mittanzen darf unterm neuen Regenbogen, ist derzeit noch umstritten. Vor allem auf der Achse Bonn-Paris ziehen Gewitterwolken auf. Erstes Donnergrollen war gleich nach den Kommunalwahlen über dem Oberrhein zu hören, ausgerechnet in jenem Dreyeckland, wo solidarischer, grenzübergreifender Bürgerprotest gegen die Atom-Projekte Wyhl, Fessenheim und Kaiseraugst dereinst den Grundstein für die moderne Anti-Atom-Bewegung setzte. Im Interview mit einer Regionalzeitung klotzte der Spitzenkandidat der französischen Grünen, der Elsässer Antoine Waechter: „Demnächst wird sich die Frage der Vorherrschaft in der grün-alternativen Gruppe des Europaparlaments stellen. Bisher zogen die Deutschen hier die Fäden. Da wird sich einiges ändern, wenn die französischen Grünen ins Parlament einziehen.“ Woran kaum zu zweifeln ist.
Die Farbe Grün
Den Westdeutschen warf der selbsternannte Wächter über das wahre Grün eine Sonderrolle im Reigen der europäischen Ökos vor: „Viele kommen aus der extremen Linken und sind noch immer stark vom Marxismus beeinflußt.“ Ihnen gehe der Bezug zur Basis in Naturschutzverbänden, Dritte-Welt-Gruppen und Anti-AKW-Bewegung ab. Der Anschiß von jenseits des Rheins rief den Freiburger Europaabgeordneten Wilfried Telkämper auf den Plan. Der ausgewiesene Aktivist der Aktion Dritte Welt und derzeitige Regenbogen-Fraktionschef konterte mit dem Hinweis, daß man den Kollegen Waechter bei den konkreten Kämpfen gegen das Atom vor Ort im Dreyeckland bislang nicht allzuoft gesichtet habe.
Über das Innenleben der bundesdeutschen Grünen zeigt sich der biedere Franzose jedenfalls ebenso unkundig wie über die Verhältnisse im GRAEL. Dauerstreit zwischen den deutschen Mandatierten blockierte aufgrund deren zahlenmäßiger Dominanz zwar des Öfteren den ganzen GRAEL; gerade angesichts ihrer ständigen Querelen untereinander klingt aber der Vorwurf, die Deutschen hätten dem Regenbogen ihren politischen Stempel aufgedrückt, eher lächerlich.
Hinter Waechters Anwürfen steht ein Trend unter Europas Grünen, die eigene Programmatik weitgehend auf Umweltfragen zu reduzieren und darüber hinausreichende gesellschaftspolitische Dimensionen auszuklammern. Waechters Positionsbestimmung „nicht rechts, nicht links, sondern grün“ formuliert diese Tendenz. Ein dürftiger Ansatz gerade für grüne Europapolitik: Denn gerade die ökologischen Folgen der EG-Agrar- oder Industriepolitik sind von deren sozialen Dimensionen schlicht nicht zu trennen. Auch bei den Grünen in Italien, Großbritannien, Irland und Belgien dominiert diese grün-grüne Sichtweise, die nach den Erfolgen in Frankreich bei den Grünen auf europäischer Ebene mehrheitsfähig werden könnte. Ihnen scheint das historische Verständnis dafür abzugehen, daß der Horizont von Oppositionsbewegungen in Ländern, die noch vor nicht allzu langer Zeit unter den Bedingungen faschistischer Diktaturen zu agieren gezwungen waren (Portugal, Griechenland) eben etwas weiter gespannt ist als derjenige von Umweltschützern einer Republik, die ihr revolutionäres Vermächtnis 200 Jahre danach als Volksoper kultiviert. Die programmatische Reduktion auf Grün-Grün droht bei den Euro-Grünen zu einer Ausgrenzung rot-grüner Elemente zu geraten, an denen gerade einem Teil der deutschen Grünen liegt. Konkret richten sich die Bedenken der Grün-Grünen gegen folgende Gruppierungen:
-den „Grün-Progressiven Fortschritt“ in Holland, ein Wahlbündnis vorwiegend kirchlicher und pazifistischer Gruppen, an dem auch Kommunisten beteiligt sind. Diese Liste, die im Juni unter ihrem neuen Namen „Regenbogen“ zur Europawahl antritt, ist im EP und im GRAEL derzeit mit einer Kommunistin vertreten
-die kleine italienische Linkspartei „Democrazia Proletaria“, deren einziger Abgeordneter ebenfalls dem GRAEL angehört und die wieder Chancen auf ein Mandat hat
-die beiden grün-alternativen Gruppen Os Verdes und MDP in Portugal. Die Spitzenkandidatin der „Os Verdes“ hofft, im Huckepack-Verfahren mit den Kommunisten, nämlich auf Platz vier einer Bündnisliste, nach Straßburg zu reisen. Die MDP (Movimento Democratico Portugues) hat ihre Wurzeln im illegalen Widerstand gegen die Salazar-Diktatur und versteht sich als öko-sozialistisch. Beide sehen sich nicht als gegenseitige Konkurrenz
-die Vertreter der „sozialistischen Volkspartei“ Dänemarks, die derzeit noch in den Reihen der kommunistischen Fraktion sitzen, aber im Hinblick auf die nächste Legislaturperiode mit dem Regenbogen liebäugeln.
Die deutschen Grünen möchten ebenso wie die Mehrheit des bisherigen GRAEL zusammen mit solchen Kleingruppen im Rahmen einer Neuauflage der Regenbogen-Fraktion einen GRAEL II bilden. Demgegenüber favorisieren französische und italienische Grüne (Briten und Iren werden kaum Chancen auf ein Mandat eingeräumt) eine moos-grüne EP-Fraktion ohne weitere alternative oder rote Schattierungen. Eine große Bedeutung kommt den Auseinandersetzungen um das künftige Profil der Euro-Grünen auch deshalb zu, weil nach der zu erwartenden Annäherung des italienischen PCI an die Sozialisten über der bisherigen Fraktion der „Kommunisten und Nahestehenden“ große Fragezeichen schweben.
Ihre Kontroverse über den neuen Anstrich des Regenbogens können die Grünen diesseits und jenseits des Rheins demnächst in der Alltagspraxis vor Ort austragen. Im Mai wollen die Grünen aus dem Elsaß und aus Baden in Straßburg, im Schatten des Europa-Palastes, eine „Grüne Oberrhein -Internationale“ aus der Taufe heben. Zudem wollen sie in diesen beiden Hochburgen einen gemeinsamen, grenzübergreifenden Wahlkampf führen. Vielleicht einigen sie sich ja sogar auf ein gemeinsames Regenbogen-Poster.
Thomas Scheuer
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