: „Dem Volke aufs Maul geschaut“
■ Was die Biederen und die netten Adretten, vor zwei Bremer Postämtern befragt, vom RAF-Hungerstreik und Haftzusammenlegung halten und gehört haben / Nichtrepräsentative Meinungs-Unterschiede zwischen Steintor und Stadtmitte
Kann man das machen? Volkes Stimmen fragen, wie sie es mit den RAF-Häftlinge halten, mit der Forderung nach Zusammenlegung? Eigentlich kann man es nicht. Man wird die alten Kopf-ab! und Strafe-muß-sein Parolen hören oder feststellen, daß, mit was die Gazetten titeln, für „die da unten“ überhaupt kein Thema ist, und wenn, dann eins, zu dem sie öffentlich nichts sagen wollen.
Ja, wirklich, ist es so? Leider wissen wir das gar nicht. Vielleicht sollte „man“ sich doch vors Steintor-Postamt in der Wielandstraße stellen, dorthin, wo die Parole „Zusammenlegung“ auf die Wand gesprüht ist, und das Volk fragen.
Schon nach fünf Minuten ändere ich meine Personenauswahl, frage niemand mehr, die oder der schon äußerlich als Szene -Mitglied kenntlich wäre, trete mit dem Mikro nur vor die Biederen, die Netten Adretten und Mittelalterlichen hin. Es hilft nicht: Die vierzehn, die ich hier anspreche, bersten vor Auskunftsbereitschaft, mit Ausnahme eines Kindes und eines älterer Mannes, der aber nur das Mikrophon flieht. Alle andern wissen nicht nur, oft genauestens, was mit der Parole „Zusammenlegung“ gemeint ist, sondern sprinten auf meine vage Frage: „Haben Sie dazu eine Meinung?“ dezidiert los mit: „Ja, habe ich: Ich bin ich dafür!“ Häufigste Begründung: „Die Isolie
rung ist so etwas ähnliches wie Folter!“ Ein Tabuthema ist dies für das Volk vom Ostertor jedenfalls nicht. Ein heißes allerdings auch nicht. Manche reden drüber in der Kneipe, mit dem Freund, in der WG (ja, da wohnten auch einige von denen, die nicht so aussahen!), aber nicht mehr so viel wie früher. Etliche hatten aber ihre Meinung allein mit Zeitung oder Tagesthemen gebildet.
Nur eine 58jährige Buchhalterin hatte in ihrem - weiblichen - Bekanntenkreis „richtig harte Diskussionen“ über den Hungerstreik. Sie war allerdings auch die einzige, die gegen die Zusammenlegung oder auch nur gegen Schritte zur Humanisierrung der Haftbedingungen war: „Die sollen für ihre Taten einstehen und die Strafe aussitzen.“ Anderenfalls hätten sie ja „die staatliche Ernährung und könnten auch noch ihre Diskussionen durchziehen“. Ihre Bekannten sähen das ähnlich. Nur mit den 70-bis 80-jährigen meide sie das Thema lieber. „Die sehen das nämlich noch schärfer.“ - Noch schärfer? -„Ja, die sagen alle, man müßte die Leute aufhängen. Aber das sind Frauen, die haben die Männer im Krieg verloren.“ - Und Sie meinen, damit hängt das zusammen? - „Ja, die sind verbittert, weil viele Jahre das Leben an ihnen vorbei gegangen ist. Ich war im Krieg ja noch ein Kind, da ist das verwischter.“
12.45 Uhr vor dem Postamt Domsheide. Die Veränderung des Standortes (bei gleichem Ansprechmuster) differenziert die 'Viertels'-Idylle etwas: Die, die aufs Mikrophon schielen und auskunftslos davonrennen, vermehren sich; außer einer 8 -jährigen hat auch ein 28-jähriger (in Fortbildung Befindlicher) weder von der RAF noch vom Hungerstreik je etwas gehört; von einem 43jährigen Lehrer, der sich „an sich für politisch interessiert“ hält, viel fernsieht, Spiegel, WK, taz und Illustrierte liest, erfahre ich, daß er zwar vom Hungerstreik gehört hat, aber alles weitere für eine „schwierige Frage“ hält, über die er sich noch „nicht zu viele Gedanken“ gemacht hat, und ich treffe endlich auf den beleibten Kaufmann, 59, der sich freut, mir sagen zu können: „Nach meiner Meinung sind das Mörder, die nicht zusammengelegt werden sollen, damit sie neue Morde aushecken“ und daß sich der Rechtsstaat nicht von denen „erpressen“ lassen dürfe.
Aber auch hier: Überraschungen zuhauf. So die ausgesprochen elegante Frau in grau, die sich als Angestellte und Personalrätin der Deutschen Bundespost entpuppt und nicht nur weiß, daß an diesem Morgen die JustizministerInnen über eine einheitliche Inititative verhandeln, sondern auch, daß die Forderungen der Häftlinge
„schon längst hätten erfüllt werden müssen“, da es sich um „weiße Folter“ handle. Die aber auch Kompromißllösungen mit kleinen Schritten für nützlich hält. Die auch am Arbeitsplatz darüber redet, obwohl viele überhaupt nichts von den RAF-lern wissen und viele finden, auf Kosten 'unserer Steuergelder‘ sollten die kein besseres Haftleben kriegen. „Doch, das ist heikel, aber ich darf das“, sagt sie ent
waffend selbstbewußt. Und dann die 62jährige Lehrerin: „Die harte und rigide Art, mit den Häftlingen umzugehen, die empört mich ganz gewaltig. Die Politiker sollten sich mal ein Beispiel nehmen an der Frau von Braunmühl, die doch wirklich geschädigt ist, und sich jetzt bewundernswert verhält.“ Und: „Es ist katastrophal, daß es in unserm Land so etwas gibt.“
Uta Stolle
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