piwik no script img

MIETERSCHUTZ IM SAMENDRAM

■ Im Reagenzglas: Gilla Cremers „Odyssee Embryonale“ und Hochhuths „Unbefleckte Empfängnis“

„Vögeln Sie noch?“ Wer läßt sich schon auf solch plumpe Art ins Theater locken? Und dann noch ins Mehringhoftheater, wo ganze Cliquen samstäglich noch zwei Stockwerk tiefer unterm Niveau brüllende Gelächtersalven im Sekundentakt ausstoßen. Der Pressetext versteht es jedoch, seinen Aufreißersatz mit einem Thema „politischer und sozialer Brisanz“ zu verbinden: Die Leihmutter hält gnadenlos Einzug ins Beziehungsdramulett und hilft selbst bisher stinklangweiligen Tragödien um weibliche Selbstverwirklichung und männliche Ignoranz wieder auf die Beine.

Gilla Cremer als Margot Varell ist die frisch frisierte, plastikuhrenemanzipierte Professionalisierung in Person, gleichermaßen abhängig von ihrem kleinen Wortschatz von „crazy“ bis „high-professional“, von ihrem Telefon und von ihrer Beziehung Werbeagenturchef Charly. An ihren Bauch hat sie bisher nur gedacht, wenn sie mit ihrer spanischen Putzfrau Franziska beim Kaffeeklatsch Berge von Sahnepudding verdrückte, aber jetzt hat die Mutterschaft zugeschlagen. Es muß in dieser Vollmondnacht passiert sein, „eine Frau merkt sowas gleich, es zieht so ein bißchen, genau hier...“ Das Mutterglück überwältigt. Gilla Cremer demonstriert die gymnastischen und seelischen Anstrengungen, eine halbe Stunde lang schüttelnd auf das Ergebnis des Schwangerschaftstests zu warten und verbreitet langsam aber sicher eine Atmosphäre brütender Gluckeneuphorie. Zwanghaft wird die erste Gurke verdrückt und schon sitzt sie, (die gurke? sezza) mit mühsam aufgeblähten Bauch am Telefon und spricht von Übelkeit. Beim nächsten Einkauf beschränkt sie sich nur auf das Nötigste: Hemdchen mit kurzen Ärmeln, Hemdchen mit langen Ärmeln, ärmellose Hemdchen und immer wieder „Nupp, für das Wohl des Kindes...!“

Wer bis dahin gehofft hatte, seine verletzte Kinderladenseele bei Gilla Cremers Mutterschaftshymnen aufwärmen zu können, dem müssen bei diesem atemlosen Kinderwäscherap die ersten Zweifel kommen. Aber die Geschichte kommt noch dicker. Ein dicker Bauch und ein dickes Angebot, in Mailand eine eigene Werbeagentur zu leiten, vertragen sich nicht. Für Franziska, die spanische Putzfrau, eine klare Sache, mal eben einzuspringen. Sie ist mit den modernen Technologien bestens vertraut, denn schon ihre Schwester arbeitet bei „Uter-Rent“, der „modernen zeitgemäßen Familienplanung“, die „erstklassige Leihmütter“ anbietet. Vom Hexenfrühstück in die Klinik ist es nur ein Katzensprung, und schon fährt Margot nach Mailand, nicht ohne vorher von der nichtsahnenden makrobiotischen jugendlichen Mutter Elfriede mit Umstandskleidern und alternativen Geburtstips versorgt worden zu sein. Bis dahin ein Akt tätiger Frauensolidarität, und kämen nicht Naturkatastrophen und unfähige Bürokraten dazwischen, könnte das Drama mit einem flammenden Aufruf zur Etablierung der Leihmutterschaft enden.

Im Gegenteil. Das Fötodram wirft drängende Fragen um das Wohl für Mutter und Kind auf. Was passiert, wenn es während der Austragung gerade zufällig einen Reaktorunfall gibt und man aus Kostengründen privat den Embryo verpachtet hat. (Uter-Rent verspricht Leihmütter aus der Dritten Welt garantiert unverstrahlt). Was kann frau tun, wenn der Leihmutter das Cäsium-freie Essen zu einseitig ist, und sie die angebrütete Eizelle pragmatisch in die Kliniktiefkühltruhe packt, wenn der Embryo mit einer Schafzelle verwechselt wird und schließlich aus Versehen neunfach geklont zum Abholpreis bereitliegt? Drei aufziehen, drei ein Jahr später dazu auftauen, und drei als Ersatzteillager aufheben, und was wird überhaupt der Vater dazu sagen, der eigentlich gar kein Kind wollte?

Gilla Cremer stapft tief in den Sümpfen weiblicher Midlife -Crisis ohne darin zu versinken und führt die alte Problematik „Kind oder Karriere“ als nicht mehr zeitgemäß ad absurdum. Die moderne Frau kann heute beides haben, solange die arbeitsteilige multikulturelle Gesellschaft ausländische Wirtinnen bereitstellt, die sich gern ein Schnäppchen zum kargen Gastarbeiterlohn dazuverdienen, bzw. aus reinem Altruismus neben dem Sahnepudding für die gnädige Herrschaft ein bißchen mehr aufkochen. Völlig veraltet sich mit einem Slogan wie „Mein Bauch gehört mir“ selbstverwirklichen zu wollen, wenn doch die Uterusgrube längst multinational ausgebeutet wird? Wo hört die Satire auf, fängt der unspektakuläre Genforschungsalltag an, wenn der IWF Leihmütter verschiebt und die geklonten Tiefkühlduplikate zu den letzten Ressourcen im Wirtschaftsleben werden, jenseits vom Uterus und diesseits männlicher Geburtswehen? Nur konsequent, wenn Elfriede Jelinek in ihrem letzten Drama „Krankheit“ die Tiefkühltruhe den Protagonistinnen vorsorglich ins Schlafzimmer stellt.

Womit wir bei den männlichen Kopfgeburten und Fötodram Nr. 2 wären. Männer über 50 durften neulich mal ihre geheimsten Wünsche, Erwartungen und Ansprüche an eine Partnerin aussprechen. „Ich höre hier keine Ehrlichkeit“, sagte der Psychologe, „Ich möchte Sie nochmal bitten, die Frage zu beantworten: Wie sind Sie Mann geworden?“ - „Ich hab versucht, in die weibliche Psyche einzudringen.“ (Die Sendung heißt „Ich und Du“ (Nord 3) und behandelt das nächste Mal Berufsbelastung und Partnerschaft).

Rolf Hochhut ist 58, und er hat sich mannhaft daran gemacht, die letzten Refugien weiblicher Sehnsüchte auszukundschaften. Was Freud bereits als größtes Elend der Frau in den Schoß legte, die Erkenntnis, ein Mangelwesen zu sein, hat auch nach der Entdeckung der Klitoris noch eine Chance. Eine Frau wird erst zur Frau durch die Mutterschaft, und ist diese unmöglich, so kann das Defizit zum Glück therapeutisch behandelt werden: die Leihmutter spendet ihren Bauch, damit auch Minderheiten in unserer demokratischen Gesellschaft zum Kind kommen. Die Frauwerdung vollzieht sich als symbolische Initiation, der heilige Geist dringt in die Leihmutterpsyche ein: Hochhut zeugt ein Drama.

Aber die unbefleckte Empfängnis geht spurlos vorüber: keine Spermaflecken, geschweige denn Magendrücken, Blutergüsse, Lachsalven, Tränenströme. Allein, es wächst auf der Bühne. Erst ist das gläserne Treibhaus kahl und leer, die Blumentöpfe schlafen in weißen Schachteln. In der nächsten Szene reifen die Tomaten schon tapfer auf Halbmast, und der strebsame junge Arzt tätschelt der Leihmutter den prallen Bauch. Später kommt das Treibhaus nicht mehr vor, aber in der weißen Kinderschachtel liegt gemäß Pachtvertrag ein Erzeugnis moderner Landwirtschaft.

Zum Zwecke anschaulicher Beweisführung bleibt der Dichter gleich bei der Landwirtschaft. Kinderlosigkeit, das Drama im Alltag, spielt sich auf einem Bauernhof zwischen EG -Interessen, lärmenden Tieffliegern und der Gastarbeiterbeziehungskrise ab. Was der einen die spanische Putzfrau, ist dem andern die jugoslawische bzw. aus Inszenierungsgründen die türkische Bäuerin. Das Recht auf Mutterschaft verbindet über alle Grenzen hinweg, da muß sogar eine verkrampfte Verbalradikale Zwischenrufe im Gerichtssaal tätigen, eine Großmutter verteidigt heldenhaft das Recht auf blutsechte und leibeigene Enkel, und all das gegen eine Horde von Pfaffen, Gewerkschaftlern, Bürokraten, (weginszenierten) feministischen Fundamentaldemonstrantinnen und grünen Moralistinnen (Hochhuth ist Anhänger der F.D.P. und besonders der Außenpolitik von Außenminister Genscher. Aus d. Programmheft).

Vor der Individualtragödie der jungen unfruchtbaren Lisbeth Uhlig (Patricia Litten), die gegen alle menschlichen, moralischen und rechtlichen Widerstände für ihren Mietbauch kämpft und daran fast verzweifelt („Ich soll bitteln und betteln...!“), in ihrer einfachen alternativ-rustikalen Cordhose und Hemdbluse, das lange Haar sorgenvoll zurückgestrichen, die aber doch vertrauensvoll zu ihrem EG -Manager (Max Volkert Martens) aufschauen kann, der sich um den Erbpachthof sorgt („Am stärksten kuppeln gemeinsame Ängste“), vor diesem beispielhaften Einzelschicksal läßt Hochhuth seine vom jungfräulichen Geburtswahn beseelte Ärzteschaft („Ich will der erste sein“) plus Lobby gegen eine Expertenkommision diskutieren. Und zieht dabei alle Register, einschlägige Polemik für seine Zwecke zu verwerten. Für Atheisten, feministische und schwule Gläubige: Die Kirche leide unter einer Sexualneurose, Jesus hatte seinen Lieblingsjünger Johannes immer bei sich. Für die Pragmatiker: Kinderlosigkeit ein Schicksal? Die Verklebtheit der Eileiter kann nicht Gottes Wille sein. Widernatürlich ist dann auch eine Zahnprothese. Für die Gewerkschaftler: Gerechte Bezahlung für den Liebesdienst muß gesichert sein, aber auch die soziale Gerechtigkeit, deshalb Leihmutter auf Krankenschein usw. usw. zwischen den Szenen werden wir mit Zeitungsmeldungen agitiert. „Leihmutterschaft nicht zum Wohle des Kindes“, „Leihmuttersäugling noch im Gerichtssaal der Fürsorge übergeben“, das soll wohl kalte Gewissensschauer bereiten oder soll hier dem blutleeren Bühnenpalaver mit dem Provokationsgrad eines mittelmäßigen „Siebten-Sinn„-Spots Authentik reingedrückt werden?

Gäbe es nicht eine mutige, sprachgewandte Richterin („Ich habe Ähnliches durchgemacht wie Sie“), das Publikum hätte überhaupt keine Identifikationsfigur (Uta Hallant), und damit jeder die Progressivität bemerkt, heißt sie auch noch Heinemann. Zum Ausgleich fürs positive Ende ist die Leihmutter, die Türkin Emine Demir (Sema Engin), das plakative Mitleideangebot mit Betroffenheitsgarantie. Schnell ist das Kind noch gestillt worden, dann wird es vor einer einstweiligen Verfügung aus dem Gerichtssaal mit heißlaufenden Motoren gerettet, zurück bleibt, sinnentleert ins Weite starrend die Leihmutter zurück. Für gleichberechtigte Multiplikation gesunder Gene („Sollte sich herausstellen, daß der Embryo mißgebildet ist, treibe ich natürlich ab“), wird da sogar die sonst so beklagte empfindliche Störung der Mutterseele in Kauf genomen, der „Tragemutter„-Seele. Tragisch, aber liberal im Sinne der freien Marktwirtschaft.

Die Heldin in Gilla Cremers Einpersonenstück „Odyssee Embryonale“ ist dagegen eindeutig Franziska, die spanische Putzfrau. Nicht nur daß sie das frischverdiente Geld mit einem neuen Outfit zu genießen weiß. Die Investition hat sich gelohnt, der Freund bleibt nicht aus. Als verantwortungsvolle Leihmutter weiß sie, daß nicht nur Rauchen, Alkohol und Drogenabhängigkeit der risikolosen Kapitalanlage schaden, sondern auch Sex (meint Uter-Rent) und packt das Kapital gutgläubig ins Tiefkühlfach. Für die nachfolgende Embryonenlotterie kann man sie nicht mehr verantwortlich machen. Vielleicht gibt es doch noch ein paar drängende Nachgeburtsprobleme über die Fortpflanzung auf Krankenschein hinaus. Aber dafür interessiert sich die F.D.P. nicht, und Herr Genscher ist ja schließlich nur für den Auslandsexport zuständig.

Dorothee Hackenberg

„Odyssee Embryonale“ im Mehringhoftheater bis 16.4. Mi-So 21 Uhr; nächste Vorstellung der „Unbefleckten Empfängnis“ am 12.4. um 20 Uhr im Schillertheater

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen