piwik no script img

Waldi, der Zauberer

Die Ballonabwehr des TT-Weltmeisters Jan-Ove Waldner  ■  PRESS-SCHLAG

Tischtennis ist wie keine andere Sportart Nervensache. Wem bei „20 beide“ die Hose flattert, der verliert. Wer im Spiel anfängt zu „denken“, verliert erst recht. Einer wie Jan-Ove Waldner kann gar nicht verlieren. Waldner hat nicht nur das virtuoseste Händchen und die beste Technik. Er hat vor allem die Dreistigkeit, sein großes Können auch noch auf spektakuläre Art zu inszenieren.

Es geht dabei gar nicht um die Erfolgsquote dieser Inszenierungen. Denn die ist schlecht. Von fünf Versuchen der Ballonabwehr - wenn Waldner demonstrativ ganz nach hinten geht und dem Gegner mit einem „Lob“ unters Turnhallendach das Zelluloid turmhoch zurücklegt - gehen mindestens drei schief und enden mit einem Punktverlust. Aber nur Waldner hat die Traute, es auf diesen Punktverlust ankommen zu lassen.

Jede seiner Ballon-Einlagen ist auch eine Demonstration seiner Überlegenheit, jeder „Lob“ eine Provokation des Gegners: Hier hast Du den Ball, zwei Meter hoch, elfmetergerecht! Wer kann es sich schon leisten, solche Geschenke zu verteilen. Aber wehe, Waldner macht aus einer solchen Situation heraus den Punkt. Wehe, es gelingt ihm, aus der Ballonabwehr heraus wieder in den Angriff umzuschalten und den Kernschuß des Gegners mit einem eigenen Finalschlag zu kontern. Das sind dann die großen Höhepunkte seines Spiels. In solchen Momenten, wenn das Raunen des Publikums die Halle erfüllt, Waldner die Faust ballt, steigt in ihm eine innere Glut hoch, die mindestens fünf Punkte wert ist. In solchen Momenten der Schmach für den Gegner, der wie ein geprügelter Hund den Ball aus der Ecke der Box holen muß, vom Entzücken des Publikums gemartert, können Spiele entschieden werden, auch WM-Finals.

Muhammad Ali öffnete in seiner besten Zeit die Deckung und lud seine Gegner tänzelnd und vermeintlich schutzlos zur Attacke ein. Waldners „Lobs“ sind Alis hängende Fäuste.

Wer Waldner gegen den besten Japaner Saitoh gesehen hat, weiß, wie schonungslos der Schwede seine Gegner vorführen kann. Er spielt dabei nie den aggressivsten und erfolgversprechendsten Ball, sondern oft den schwierigsten und vor allem: den schönsten. Er spielt den Ball, der neben dem Punktgewinn auch den Lustgewinn bringt und den Gegner demoralisiert.

Die Schwierigkeit in Waldners Spiel ist das Umschalten vom Kunststückchen auf Effektivität. Wer süchtig ist nach schönen und spektakulären Bällen, „vergißt“ manchmal zu gewinnen. Am Sonntag ist es Waldner im fünften Satz noch rechtzeitig eingefallen.

Manfred Kriener

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen