: Westen reagiert auf „leere Geste“
■ Nicht überraschend wird Gorbatschows Vorschlag, die militärische Produktion von angereichertem Uran einzustellen, von den westlichen Staaten als Ablenkungsmanöver betrachtet
Berlin (taz) - Wer hätte es anders erwartet? Die Nato-Oberen sind sich wieder einmal einig in ihrer Bewertung des letzten Abrüstungsvorschlags von Gorbatschow, die Herstellung von angereichertem Uran zu militärischen Zwecken einzustellen. „Ablenkungsmanöver“, „leere Geste“, „wenig sensationell“, tönte es aus den Hauptstädten des Westens.
Denn anders als in den USA, wo der schlechte Zustand der drei militärisch genutzten Atomreaktoren in Savannah River droht, die Produktion von Atomwaffen zum Erliegen zu bringen, soll der Urananreicherungsstopp in der Sowjetunion angeblich keine Auswirkungen auf den Ausbau des Atomwaffenprogramms haben. Es sei ein Fehlschluß zu glauben, daß es zu einer graduellen Verminderung des sowjetischen Atomwaffenarsenals kommen werde, klärte der Sprecher des US -Außenministeriums, Richard Boucher, die Entspannungsfreunde auf. Die zentrale Frage sei vielmehr der Abbau der Atomwaffen auf beiden Seiten. Diese Aussage legte die Frage nahe, wann denn die US-Regierung endlich bereit ist, diese Sparte der Abrüstungsgespräche wieder aufzunehmen. An dieser Stelle mußte der Sprecher passen. Allerdings konnte er auf die Einschätzung US-amerikanischer Experten verweisen, daß die Sowjetunion über mindestens 14 Anlagen zur Produktion angereicherten Urans zu Rüstungszwecken verfüge. Deshalb bedeute Gorbatschows Ankündigung, die Sowjetunion werde neben einer bereits 1987 abgeschalteten zwei weitere waffenfähige Plutoniumfabriken schließen, keine maßgebliche Verringerung deren Produktionskapazität.
Bundestiefflugminister Scholz sah in der Ankündigung Gorbatschows immerhin ein „Zeichen des guten Willens“, allerdings ist auch er der Meinung, daß die Sowjetunion auf Jahre hinaus kein spaltbares Material brauche, weil sie bereits jetzt über „ein gewaltiges Potential“ an strategischen und Kurzstreckenwaffen verfüge. Aus der Perspektive der Bundesregierung sicher eine richtige Feststellung, zumal sie indirekt die Herstellung waffenfähigen Atoms in der zukünftigen bundesdeutschen Atomwaffenschmiede Wackersdorf rechtfertigt. Denn wenn die USA als Plutoniumproduzenten längerfristig ausfallen, wie Ende letzten Jahres im Pentagon apokalyptisch prohezeit wurde („einseitige Abrüstung“), läge es für die Bundesregierung nahe, bereitwillig in die Bresche zu springen.
Entschieden widersprachen die Nato-Strategen auch Gorbatschows Erklärung, die Sowjetunion würde ihre Atomwaffen nicht modernisieren. In der DDR seien beispielsweise kürzlich „Frog„-Kurzstreckenraketen durch die modernen und zielgenauen SS-21 ersetzt worden, sagte ein Nato-Sprecher in Brüssel. Ungehalten reagierte man in der Nato-Hierarchie auch auf Gorbatschows Äußerung, die Modernisierung der Nato-Atomwaffen werde sich zwangsläufig auf die Wiener Verhandlungen über konventionelle Rüstung auswirken. Eine solche Verbindung herzustellen, sei auch nicht im Interesse der UdSSR, sagte der niederländische Rüstungsminister van den Broek. Die „einzig sichere und starke Verteidigung ist atomar“, so auch die Eiserne Lady in London.
mf
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