piwik no script img

Ein Mittel des „Kalten Krieges“

■ Offener Brief der Gesellschaft Solidarnosc e.V. an Kanzler Kohl

D O K U M E N T A T I O N

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!

Hiermit bitte ich Sie, den Beschluß, die Visabestimmungen für polnische Staatsbürger zu verschärfen, wonach sie bei Privatreisen in die Bundesrepublik Deutschland den Besitz von DM 50,- pro Tag und „ausreichende“ Krankenversicherung nachweisen müssen, nochmal zu überdenken und zurücknehmen zu wollen.

Diese Maßnahme wird den Polen, vor allem aber den jungen Menschen, die Möglichkeit verwehren, ihre deutschen Nachbarn kennenzulernen. Ich zweifle nicht daran, daß Sie verstehen, wie es für den Frieden und Entspannung in der Welt wichtig ist, daß sich Menschen verschiedener Nationalitäten, vor allem aber junge Menschen, persönlich kennenlernen. Diese Maßnahme verletzt auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit und Gleichbehandlung, denn Tausende deutsche Studenten fahren nach Frankreich, Spanien, Griechenland, Polen oder anderswohin mit weit weniger Geld in der Tasche als DM 50, pro Tag. Als Dozent an der Freien Universität Berlin, wo ich einen unmittelbaren Kontakt mit deutschen Studenten habe, weiß ich es sehr gut. Meine Kritik an dieser Maßnahme ist vielschichtig. Ich betrachte sie als ein Mittel aus der Kiste des „Kalten Krieges“ und der Zeit des „Eisernen Vorhangs“, den Sie jetzt selbst errichten. Um so erstaunlicher ist es, weil dies in der Zeit der politischen Annäherung zwischen den sogenannten „sozialistischen“ und „kapitalistischen“ Ländern geschieht. Mit dieser bürokratischen Maßnahme festigen Sie die politische Spaltung Europas, diesmal noch dazu in „reiche“ und „arme“ Länder.

Seit Jahrzehnten wurde die totalitär eingeschränkte Freizügigkeit der Menschen im sogenannten „kommunistischen Machtbereich“ hier im Westen, auch von den bundesdeutschen christlich-demokratischen Regierungen, bemängelt und eingeklagt. Um so mehr verwundert diese Maßnahme Ihrer Regierung, die sich durch diesen Schritt von jener den Polen gerade gewährten Freizügigkeit und von dem wirklichen „europäischen Haus“ - vom Atlantik bis zum Ural - mit einem D-Mark-Schutzwall abschottet. (...)

Mit freundlichen Grüßen

Edward Klimczak, Erster Vorsitzender

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen