: WEGGESPERRT
■ Fotoausstellung „Lange uffm Wedding“
Es ist ein leidiger Umstand: Wird vom Berliner Bezirk „Wedding“ geredet, verfallen die meisten in die Vergangenheitsform: es war der rote Wedding aus der Zeit der Sozialistengesetze, der Jahrhundertwende, der Novemberrevolution und des Blutmai am Ende der zwanziger Jahre; es war der ungehorsame Wedding, den die Nazis selbst mit rüden Gewaltmitteln nicht in ihren Griff bekamen; es war der tote Wedding nach dem Mauerbau, als er plötzlich abgeschnitten seine Ventilfunktion als politischer Durchlauferhitzer verlor. Eine martialische Kahlschlagsanierung der Betonfraktion in den sechziger und frühen siebziger Jahren tat ein Übriges dazu, die ehemals ungezogene Bevölkerung kleinzukriegen. Die kombinierten Maßnahmen der großen Brüder aus den Magistraten Ost- und West-Berlins zeigten Erfolg. Das Leben im Wedding wurde still. Kulturelle Einrichtungen wie Kinos, Theater machten dicht; Warenhäuser, Supermärkte und Tante-Emma-Läden, vor allem im Vinetaplatz-Gebiet, wurden geschlossen. Die Bevölkerung wurde gezwungen, für Besorgungen und Amusements den Wedding zu verlassen. „Mobilität“ nannten die Stadtplaner das. Neben der täglichen Fahrt zur wohnungsfernen Arbeit eine zweite Mobilität am Abend. Die Bewohner richteten sich auf Feierabendflucht in die Innenstadtbezirke ein oder frönten den „drei F's“ der Freizeitgestaltung: Filzpantoffeln, Fernsehen, Flasche Bier.
Also: Vergangenheit groß - Gegenwart klein - und Zukunft verzweifelt gesucht. (Auch die taz verläßt demnächst den Wedding in Richtung Innenstadt.) Nachdem einige Kulturpflänzchen wieder eingegangen sind oder andere ein Schattendasein als Mauerblümchen pflegen, ist die ehedem erahnte Aufbruchstimmung im Keime erstickt. Vor diesem Hintergrund scheint es Ausstellungsoffiziellen zu gefallen, in einer Mischung aus Larmoyanz und Resignation den derzeitigen und bleibenden Zustand zu beklagen. Objekte und Ausstellungsgegenstände werden dafür aus privater und musealer Historie zusammengetragen und aufbereitet. Bei dem Griff in die Geschichtsschatulle macht auch die zur Zeit laufende Fotoausstellung „Lange uffm Wedding“ keine Ausnahme.
In geschmäcklerischer Anbiederung an Volkssprache wird versucht, mit geschichtlichen und zeitgenössischen Fotos von alten Motiven Schlaglichter aus dem ehemaligen Arbeiterbezirk zu setzen. Die geplante Mosaikwirkung aus Architekturfotos und fotojournalistischen Momentaufnahmen bleiben zu bruchstückhaft, um ein Gesamtbild des Stadtteils zu ergeben. Häuserfassaden von neugotischen Industrie- und Verwaltungsgebäuden wechseln mit Gruppenfotos von Straßenfesten ab. Die Aufnahmen wirken wie zufällig entstandene Schnappschüsse.
Die Fotoausstellung wird in zwei Blöcke geteilt an zwei Orten gezeigt: im Bürgersaal Malplaquetstraße und der Fabrik Osloer Straße. Aus der räumlichen Not haben die Organisatoren eine museumspädagogische Tugend gemacht. Die Fotos skizzieren die nähere Umgebung der beiden Schauplätze, nämlich dem südlichen Wedding um den Leopoldplatz mit den ehemals durch Kleinbürger belegten Wohnblocks wilhelminischer Prägung und den proletarischen Arbeiterquartieren im östlichen Wedding von Nettelbeckplatz bis S-Bahn-Ring und Vinetaplatz.
Ein Ärgernis zum Schluß: die Öffnungszeiten. An drei Tagen unter der Woche für jeweils fünf Stunden nominell geöffnet, stand ich jeweils vor verschlossener Pforte der beiden Ausstellungsorte und das, obwohl ich die Verschlußzeiten genau in der Mitte des Zeitraums eingehalten hatte. Eine insistierende wiederholte Anreise machte dann den Besuch möglich. Was erleiden die weniger hartnäckigen Besucher? Die Verantwortlichen dürfen sich über Konsequenzen und Nichtbesuch bei zukünftigen Veranstaltungen nicht wundern.
mosch
„Lange uffm Wedding“, Fotoausstellung im Bürgersaal Malplaquetstraße 15 und Fabrik Osloer Straße 112, beides im Wedding. Geöffnet noch bis 16. April. Mo, Fr und Sa von 12 bis 17 Uhr. Der Spaziergang zwischen den beiden Orten dauert etwa 20 Minuten (Stadtplan) und ist sehr zu empfehlen. Das zur Ausstellung erschienene Fotobändchen auch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen