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Georgiens Parteichef will abtreten

■ Nach offizieller Angabe hat sich die Lage in Tiflis beruhigt / Unabhängige Untersuchungskommission soll eingesetzt werden / Außenminister Schewardnadse sagt Bonn-Besuch ab

Moskau (dpa/afp) - Vor dem Hintergrund der blutigen Unruhen in Tiflis hat der georgische Parteichef Dschumber Patiaschwili um seine Entlassung gebeten. Wie der Sprecher des sowjetischen Außenministeriums, Gennadi Gerassimow, am Mittwoch vor der Presse in Moskau mitteilte, antworte er mit dem Gesuch auf Kritik an dem Vorgehen der Behörden bei der Massenkundgebung am vergangenen Sonntag. Die Forderung nach Bildung einer Untersuchungskommission, die aus nicht -regierungsamtlichen Vertretern zusammengesetzt sein soll, sei bei dem Treffen akzeptiert worden, berichtet der Redakteur der Jugendzeitung 'Molodije Grusii‘, Urigatschwili.

Außenministeriumssprecher Gerassimow unterstrich, daß nun die „entsprechenden Parteigremien“ über das Rücktrittsgesuch Patiaschwilis entscheiden müßten. Gerassimow zitierte den Parteichef mit den Worten: „Ein General, der eine Schlacht verloren hat, muß abtreten.“ Die Entscheidung Patiaschwilis werde von „vielen als Schritt eines aufrechten, mutigen Mannes“ gewertet. Er lehnte eine Antwort auf die Frage ab, wann die Partei über eine Entlassung des Ersten Sekretärs entscheiden werde.

Die Lage in Tiflis und in anderen Teilen Georgiens bezeichnete Gerassimow als „normal, wenn man einmal von der Ausgangssperre absieht“. Zu Berichten, wonach die Truppen bei der Erstürmung des Rustaweli-Platzes Pionierspaten eingesetzt hätten, meinte er: „Bei keinem Toten wurden Schlagspuren endeckt.“ Die Vorwürfe würden jedoch untersucht. Wegen der Ereignisse in Tiflis hat der sowjetische Außenminister Schewardnadse seine geplante Bonn -Reise für den 16. und 17. April abgesagt.

Wie schon bei den Unruhen in den Armenien und Aserbaidschan veröffentlichte die Armeezeitung 'Krasnaja Swesda‘ (Roter Stern) auch diesmal wieder die meisten Informationen über die Vorgänge in Tiflis.

Ein Major sei beim Ausstieg aus einer Metrostation mit Steinen beworfen worden und ein Oberstleutnant von einer Wohnung aus mit einer Flasche auf den Kopf beworfen worden. Andere Angehörige der Armee hätten in ihren Briefkästen Flugblätter mit Drohungen gefunden, schreibt der 'Rote Stern‘. Darin werde die Armee für die Gewalttaten verantwortlich gemacht. Die Soldaten hätten sich „für die Verbrechen Stalins am russischen Volk rächen wollen“, werde verbreitet. Stalin stammte aus Georgien.

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