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...HINEIN INS UNTERGRUNDBIOTOP

■ „Sehnsüchte und Endstationen der Berliner U-Bahn“ in der Werkbund-Galerie

Mit den Sitzplätzen fing es an. Öffentliche Sitzplätze sind entweder aus hartem Holz, kaltem Beton oder sterilem Plastik, sie zeichnen sich durch prinzipielle Unbequemlichkeit aus. BVG-Wartebänke stehen bevorzugt an zugigen Haltebahnhöfen, verziert mit überfüllten Müllkübeln an jedem Ende und einer großflächigen Reklametafel als einzigem Blickfang. Das Elend der Inneneinrichtung der Berliner U-Bahnhöfe veranlaßte die Design-Studentin Maria Niemöller, sich grundsätzliche Gedanken zu machen, wie dem abzuhelfen sei, und heraus kam eine Diplomarbeit in Form einer Ausstellung. Kunst am Bau heißt das Schreckenswort angewandter Designkunst, aber die wenigen Wandtafeln in der Werkbundgalerie wollen mehr: Sehnsüchte und Endstationen der Berliner U-Bahn verspricht ein Stück Sozialgeschichte aus dem Untergrund.

Selbst BVG-Bänke haben eine kulturelle Entwicklung. Die Urgroßvater- und -mutterbänke von 1900, zum Beispiel am Platz der Luftbrücke, sind Originale, Jugendstilmöbel mit geriffelten Lehnen und geschwungenen Armlehnen. Stehen sie in der Mitte, stemmen dünne Träger eine Schrifttafel mit dem Namen des Bahnhofs in die Höhe. 1930 ist bereits nüchterne Funktionalität eingekehrt. Holzkisten mehr als Bänke, ideal zum Ablegen und Schlafen. 1950 schlagen die Designer wieder zu, hängen die Bänke an Trägern an die Wand und stylen mit verkleinerter Lehne eine futuristische Wohnlandschaft mit Betongemütlichkeit. In den kommunikativen Sixties entwickelt sich die mehrheitsfähige Bank, jetzt dürfen immer mehr nebeneinander sitzen. Doch 1970 beginnt schon die Vereinzelung: runde Sitznischen für profane Alltagsheilige, hinterngerechte Plastikschalen ohne Lehnen. Wer hat nicht schon einmal, am Riesenhallenbahnhof Hermannplatz in seiner Plastikschale festgeklebt, das Gefühl umfassender Verlassenheit erlebt...

Während sich langsam die Einsicht durchsetzt, daß nur der Ausstieg aus dem Auto das ökologische Überleben der Städte sichern kann (Los Angeles soll bis 2009 autofreie Stadt werden, taz vom 3.4.89), kümmern die öffentlichen Verkehrsmittel noch immer wie vor einem Jahrhundert trübe und abweisend vor sich hin. Im Gegenteil, der Komfort der Berliner U-Bahnen hat sich seit 1930 sogar vermindert, planmäßige Zugfolgen im Abstand von 90 Sekunden hat es seitdem nie mehr gegeben. Haben die Automobilkonzerne im Lauf der Jahre ihre technische und ästhetische Fahrkultur geradezu überentwickelt, so hat die BVG auf jede kreative Gestaltung ihrer Bahnhöfe verzichtet und den Werbefirmen von Wartehäusern bis Kachelwänden den Rest überlassen. Alles, was den Reiz erhöhen könnte, die U-Bahn zu benutzen, ist verboten: freies Musizieren, Fotografieren ohne Genehmigung, Betreten der Bahnhöfe ohne gültigen Fahrschein. „U-Bahn ist ö...öde öffentliche Örtlichkeit, ökologisches, ökonomisches Ödland, ökumenisches, önomanisches Ösen-Ör im Örterbau“, sagt BöN auf einer Plakatwand. BöN ist dieBürgerinitiative öffentlicher Nahverkehr e.V. und das Ganze ist der Anfang einer utopischen Geschichte, die trotzdem Wirklichkeit werden könnte.

Was wäre wenn... Im Winter 1989/90 treibt es die Menschen infolge starker Schneefälle und tagelanger Smogglocke in die U-Bahnen. Das Entsetzen über die Verhältnisse in den Bahnhöfen und Zügen ist groß. Plakataktionen, Demonstrationen und sogar eine Reifenstecherei der Autohasser zwingen die BVG, eine Studie zur Attraktivierung der U-Bahn in Autrag zu geben. Das Büro für Stadtgestalt fordert in seinen Ergebnissen eine neue Infrastruktur, und die ist revolutionär. Die BVG soll ihre Bahnhöfe an private und öffentliche Träger vermieten und statt bloßer Zugabfertiger Animateure einsetzen, „publikumsgeschulte Bahnhofskoordinatoren“. Die Öffnungszeiten der Kioske müssen erweitert werden, WCs, Telefone, Trinkwasser und elektronische Anzeigen sollen nun an zur Grundausstattung gehören. Aber die wichtigste Regel heißt: „Jeder Anbieter hat die Verpflichtung, zu seinem Gewerbe ein Stück Aufenthaltsenvironment zu schaffen.“ Die Plakatwerbung hat ausgespielt, es lebe die Überzeugungskraft sinnvoller Umsetzung. Die Tapeziererinnung mietet 1992 den Bahnhof Zoo und tapeziert ihn alle sechs Monate neu, auf einem anderen Bahnhof ist der graue Estrich durch glänzendes Parkett ersetzt worden. Man stelle sich vor, wie Marlboro Bonnies Pferderanch am Leopoldplatz aufbaut, die harten Holzbretter durch wettergegerbte Ledersessel ersetzt und einmal pro Woche eine öffentliche Schlachtung mit anschließendem Corned-Beef-Verkauf veranstaltet. Damit greife ich aber der Entwicklung weit vor.

Erst mal geht es darum, „Kleinbiotope“ zu schaffen. Mach‘ was aus deinem Bahnhof! Eine gefächerte Sitzfläche rund um den Pfeiler schafft Wind- und Schallschutz. Zwischen Paravents auf einem Barhocker sitzen und gemütlich telefonieren: „Herzlichen Glückwunsch zum... du, mein Zug kommt. Ciao!“ oder man setzt sich mit seinem Westdeutschlandbesuch auf eine von innen erleuchtete, erwärmte Glasbausteinlandschaft. Wer allein sein will, läßt sich unterm Fliegenpilz musikalisch bedröhnen... Zukunftsmusik? Maria Niemöller gibt jede Menge Anregungen vom einfachsten Design aus Stelltafeln, die aber den Bedürfnissen von Wartenden angepaßt sind, bis zu Annehmlichkeiten, die den unsympathischen Bahnhof zu einem privaten Ort machen.

Dieser Ort muß gleichzeitig ein gesellschaftlicher sein. 1989 steht am U-Bahnhof Möckernbrücke (immerhin) ein Imbißladen, 1992 findet hier der Markt statt. Acht Markthändler im Zwischengeschoß, ein Bioladen und eine Bäckerei auf dem unteren Bahnsteig, Künstler und Musiker sind willkommen. Am U-Bahnhof Tempelhof wird eine Bar eingerichtet, am Anhalterbahnhof dient ein stillgelegter Zug als Bahnhofscafe. Die niedrige Tiefe der Berliner „Unterpflasterbahn“ gestattet an vielen Stellen Durchbrüche zum Tageslicht, Künstler gestalten Deckenreliefs, am Banhof finden Performances und Ausstellungen statt, nachts, nach dem letzten Zug, werden die Hallen als Nachtkinos, Diskos und Kneipen genutzt.

All das wird in zahllosen Collagen und Computeranimationen als eingelöste Sehnsucht demonstriert. Zwar erscheint nicht alles verwirklichbar, manches erinnert ungut an B750 -Gesamtkunstwerke, aber die meisten Entwürfe sind nicht nur ästhetisch witzig, sondern auch noch praktisch. Da finden sich manikürende Frauen aus dem Frisiersalon unter der SFB -Berieselungstrockenhaube wieder. Ein avantgardistischer Fledermausohrenstuhl von Gaetamo Pesce „schützt vor Zugluft“. Allerdings, so kann man sich in der Phantasie der Werbestrategen täuschen, „der von Marlboro gesponserte Bahnhof ist zwar interessant, aber den meisten Berlinern zu wenig lebendig“. (Eine Laterne in Zigarettenform hängt von der Decke.) Ironischer Seitenhieb auf eine Sponsorkultur, die sich auf geistloses Productplacement beschränkt. Doch hier liegt gleichzeitig die Schwäche der Ausstellung: allzu unkritisch verbinden sich Alltagswünsche und Kulturindustrie. Wo von Rolltreppe bis Trittbrett alles Wahrnehmbare mit einer kommerziellen Botschaft tapeziert ist, läßt sich da noch denken übers kuschelige mit sich und der Welt identische Glücksgefühl hinaus...

Was ein einziger Bahnhof an künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten hergibt, zeigen zehn Hdk -StudentInnen am U-Bahnhof Kurfürstenstraße im Modellversuch. Die einen denken architektonisch und pragmatisch: Christiane Friedemann will die Natur, die oben verdrängt worden ist, mittels umgelenkten Tageslicht unten wieder aufpäppeln. Auch Björn Hansen versucht mit Spiegelungen Licht nach unten zu holen und experimentiert mit einem veränderbaren Rohrrahmensystem. Ingo Fast heißt nicht nur so, sondern stylt den Bahnhof zum großflächigen Science-fiction-Fördersystem. Ein langsames und ein schnelles Förderband, dazwischen ein Trittbrett, „die Kommunikation unter den Beförderten findet nur noch während der Beförderung statt“ - diese Utopie der zwanghaften Bewegung jagt mir Schrecken ein. Dann lieber den Bahnhof zu einer Kirche auf romanischen Pfeilern machen, wie Susanne Jünger es tut, mit überproportionalen weißen dünnen Kerzen. Den besonderen Charakter des U-Banhofs Kurfürstenstraße „zwischen Babystrich und Möbelstadt“ trifft vielleicht Jörg Hundertpfund mit seinem Bordellwohnzimmer „Endstation Sehnsucht“. Für alle, die sich so richtig wohlfühlen auf dunkelrotem Samt und unter Plüschvorhängen.

Doch der Weg zum Bahnhofsenvironment und zur autofreien Stadt scheint steinig und unüberwindlich. Während die Ausstellung spinnt und spinnt von der Entwicklung neuer Fahrzeugtypen, von Dual-Mode über fahrradähnliche Wagen bis sogenannten Rados, einer Kreuzung aus Fahrrad und Autoscooter, haben SPD und AL gerade beschlossen, die Umweltkarte erst mit dem Winterfahrplan einzuführen, aus Gründen einer Werbekampagne. Hinterrücks, an der Bürokratie vorbei, haben die neuen Herren die Bahnhöfe - wenn auch bisher nur die stillgelegten - längst in Besitz genommen. Zwischen Nobeldisko und verhofertem Erlebniswestbahnhof sponsert jetzt auch eine Wodkafirma „Action-Painting“ im Veranstaltungsbahnhof „Luniversum“, Sorte Avantgarde, für KritikerInnen lauert Markenartikel Andy Warhol im Hinterhalt.

Dorothee Hackenberg

Sehnsüchte und Endstationen der Berliner U-Bahn. Wie sich die Berliner U-Bahn am eigenen Schopf aus dem Untergrund zog... und dem alten Konzept davonfuhr. Ein Studienprojekt von Maria Niemöller, in Zusammenarbeit mit Sylvia Robeck, Jörg Hundertpfund und Prof. Hans Nick Roericht, HdK Berlin. Bis zum 20. April in der Werkbund-Galerie, Goethestraße 13, täglich von 16 bis 18 Uhr.

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